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Viele Faktoren beeinflussen, wie eine Kommune jugendgerechter werden kann. Mit der  Publikation "16 Wege zu mehr Jugendgerechtigkeit - Gelingensbedingungen für Jugendgerechte Kommunen" stehen die Erkenntnisse des bundesweiten Prozesses zum Download und als Druckfassungen zur Verfügung. Jetzt bestellen!

 

Deckblatt Broschüre Referenzkommunen, gezeichnet sind ein Bus, Häuser, Bäume. Deckblatt Broschüre Referenzkommunen, gezeichnet sind ein Bus, Häuser, Bäume.

Referenzen statt Leuchttürme: 16 Kommunen auf dem Weg zu mehr Jugendgerechtigkeit

Referenzen statt Leuchttürme: 16 Kommunen auf dem Weg zu mehr Jugendgerechtigkeit

16 Kommunen – das sind 16 und noch mehr Wege zu und Vorstellungen von Jugendgerechtigkeit. Es gibt nicht das eine, richtige Modell, das für alle 11.000 Kommunen in Deutschland zur Anwendung kommen kann, denn es sind viele Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, wie eine Kommune jugendgerechter werden kann: Ist sie eine Großstadt – oder eine kleine Kommune im ländlichen Raum? Wird jugendliches Engagement eher ehrenamtlich getragen – oder gibt es hauptamtliche Unterstützung? Gibt es ein breites Bündnis aus Menschen und Institutionen, die gemeinsam für Jugendgerechtigkeit einstehen? Ist eine Kommune finanziell gut ausgestattet – oder gibt es wirtschaftliche Herausforderungen? Welches Jugendbild herrscht in der Kommune vor? Auf welche Grundbedingungen trifft das Vorhaben, einen Fokus des politischen Handelns auf Jugend vor Ort zu legen?

Die 16 Kommunen, die sich im Rahmen der Jugendstrategie „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“ auf den Weg zu mehr Jugendgerechtigkeit gemacht haben, sind deshalb nicht als 16 Modellkommunen oder „Leuchttürme“ zu verstehen. Beim Prozessbeginn im Jahre 2015 wurde darauf geachtet, möglichst die gesamte Bandbreite der kommunalen Vielfalt in Deutschland abzubilden, auch in Bezug auf die unterschiedlich ausgeprägten Strukturen im Jugendbereich. Das Projekt „Jugendgerechte Kommune“ war deshalb von Beginn an als ein Peer-Learning-Prozess konzipiert, der die Möglichkeit bot, bei aller Unterschiedlichkeit voneinander und miteinander zu lernen und eigene Ideen und Projekte aus dem, was bereits vor Ort lief, zu entwickeln. Diese 16 Kommunen sind aufgrund ihrer Verschiedenheit mögliche Referenzen für andere Kommunen, die sich auf den eigenen Weg zu mehr Jugendgerechtigkeit machen wollen – deshalb sind es „Referenzkommunen“.

Nun sind drei Jahre vergangen und es gilt, Erkenntnisse aus dem Prozess zu formulieren, die über die 16 Referenzkommunen hinaus Wirkungen für eine jugendgerechte Gesellschaft erzielen können. Die Erfahrungen werden im Folgenden als Gelingensbedingungen beschrieben und spiegeln die Erkenntnisse aus den Kommunen wider, fassen sie zusammen und bewerten sie auf struktureller Ebene. Sie sind keine abgeschlossene Liste, sondern eine Bestandsaufnahme nach drei Jahren engagierter Arbeit in den Kommunen und intensivem Austausch im Peer-Learning-Prozess.

Der Peer-Learning-Prozess: Vorgehen und Akteure

Um den ganz unterschiedlichen Herausforderungen und Besonderheiten der beteiligten Kommunen gerecht zu werden, bedurfte es in jeder Kommune eines eigenen Fahrplans. Grundlegend für die Prozessplanungen in den Kommunen war eine Bestandsanalyse - die Kommunen waren gebeten, anhand von Leitfragen (pdf) unter Mitwirkung von Jugendlichen und in Zusammenarbeit mit weiteren lokalen Akteuren den Ist-Stand vor Ort aufzubereiten. Auf dieser Grundlage wurde systematisch die Situation vor Ort betrachtet und Handlungsbedarfe festgestellt, die zur Verabredung gemeinsamer Ziele, Schwerpunktthemen und letztlich eines Prozessplanes für den Zeitraum von 2016 bis 2018 führten. Im Zusammenspiel von Jugendlichen, Fachkräften, Politik und Verwaltung wurden so individuelle, auf die jeweiligen Bedarfs- und Ressourcenlagen vor Ort angepassten Pläne für mehr Jugendgerechtigkeit erarbeitet. Die Zusammensetzung der involvierten Netzwerkakteure war von Kommune zu Kommune sehr verschieden, in der Regel waren das Jugendamt und Träger der freien Jugendhilfe vertreten. In einzelnen Kommunen wurden von Beginn an auch Mitglieder der Kommunalparlamente, leitende Mitglieder der Verwaltungsspitze, Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Fachbereiche, der Wirtschaft und städtischer Versorgungsunternehmen, Mitarbeiter/-innen der Agentur für Arbeit, der Schulen, der Jugendringe, Jugend- und Vereinsvertreter/-innen, Stiftungen und weitere Akteure involviert. Neben der Orientierung an den Jugendinteressen wurde in den Prozessen vor Ort unter anderem die strukturelle Verankerung von Jugendgerechtigkeit in den Blick genommen, um die Kommunalpolitik nachhaltig jugendgerecht auszurichten. Die Koordinierungsstelle unterstützte die Kommunen bei der Prozessplanung und bei Veranstaltungen vor Ort. Die Beteiligung von Jugendlichen an der Umsetzung war von Beginn an ein festes Element der regionalen Aktivitäten.

Wie gelingt die Jugendgerechte Kommune?

Die Gelingensbedingungen lassen sich in vier Themenfelder untergliedern: Es geht erstens um Grundvoraussetzungen für Jugendgerechtigkeit, zweitens um Wissen über und Verständnis für Jugend, drittens um Strukturen und Ausstattung sowie viertens um Kommunikation und Kooperation. Insgesamt wurden 16 Gelingensbedingungen für mehr Jugendgerechtigkeit anhand der Erfahrungen aus den Kommunen formuliert, die gleichsam das Verhältnis zwischen Jugendlichen, Fachkräften der Jugendarbeit, Verwaltungsmitarbeiter/-innen und politischen Entscheidungsträger/-innen beschreiben.

a) Grundvoraussetzungen

Zu den Grundvoraussetzungen gehört u.a. die Erkenntnis, dass es nur gemeinsam mit allen Akteuren im Feld gelingen kann, eine Kommune jugendgerechter zu machen. Egal, ob ein Prozess bottom-up, also aus der Jugend vor Ort heraus, oder top-down aus dem Rathaus gestartet wird: Wenn nicht Akteure aus allen vier Fokusgruppen beteiligt werden, fehlen dem Prozess wichtige Perspektiven, Einblicke und Zugänge in die Stadt. Dabei ist es nicht zwingend notwendig, dass sich alle Akteure aus der gleichen Motivation heraus für Jugendgerechtigkeit interessieren – wichtig ist, dass alle Akteure eingebunden werden und Schnittmengen im Handeln finden. Die Systematisierung und langfristige Verankerung von Jugendbeteiligung auf kommunaler Ebene zum Beispiel in Arbeitsplatzbeschreibungen oder Gemeinderatsbeschlüssen schafft eine wichtige Grundlage für die langfristige Zusammenarbeit aller Akteure und macht die Verortung von Jugendthemen unabhängiger von Personalwechseln oder veränderten politischen Mehrheiten.

Jene Gelingensbedingung, die die größte Relevanz für alle beteiligten Kommunen gezeigt hat und als wichtigste Grundvoraussetzung für mehr Jugendgerechtigkeit verstanden werden kann, ist die der Haltung zum Thema Jugend und Jugendgerechtigkeit, denn die Grundeinstellung, mit der alle Akteure Herausforderungen angehen, prägt den Blick: Wird vor Problemen kapituliert? Werden kreative Lösungen gesucht? Wird ein Thema hartnäckig und mit Leidenschaft vorgetragen, oder wird (vor-)schnell abgewunken? Eine durch jugendgerechte Haltung geprägte Kommune reagiert offen auf die Anliegen Jugendlicher, unterstützt diese beim Eintreten für ihre Interessen und setzt ihr Wissen und ihre Kompetenz ein, um Lösungen zu finden. Dabei geht es nicht darum, die Anliegen Jugendlicher kritiklos zu übernehmen. Vielmehr tritt eine jugendgerechte Verwaltung als zugewandte, informierte und lösungsorientierte Gesprächspartnerin auf. Die gute Nachricht ist: Eine Haltung ist entwickelbar. Gelingende Begegnungen mit Jugendlichen können Menschen in Politik helfen, Vorurteile und Klischees abzubauen und jugendliches Engagement als bereichernd und nützlich für die eigene Arbeit in der Kommune zu erkennen.

b) Wissen und Verständnis

Gleichermaßen ist es unabdingbar, dass die erwachsenen Akteure Jugend als eigenständige Lebensphase anerkennen, sich dazu informieren und weiterbilden und sich dabei nicht von subjektiven Eindrücken oder der Erinnerung an die eigene Jugend leiten lassen. Die Anforderungen an Jugend sind heute anders und ein Blick ‚durch die Jugendbrille‘ von heute kann insbesondere für jene Verantwortungsträger/-innen in Politik und Verwaltung spannend sein, die in ihrem Arbeitsfeld nicht unmittelbar mit Jugendlichen zu tun haben. Jugendumfragen, Qualifizierungsangebote und Multiplikator/-innentreffen zum Austausch und zur gegenseitigen Beratung helfen dabei ebenso wie eine gute Dokumentation der eigenen Arbeitsergebnisse, um Wissen zu generieren, weiterzugeben und Entscheidungen transparent zu machen.

c) Strukturen und Ausstattung

Ein Beispiel für das dritte Themenfeld ist die Frage nach personeller und finanzieller Ausstattung von Jugendgerechtigkeit: Die besten Konzepte, die engagiertesten Jugendlichen, die deutlichsten Willensbekundungen aus der Politik – mit all dem lässt sich nicht viel anfangen, wenn zur Umsetzung vor Ort keine personellen, finanziellen und materiellen Ressourcen zur Verfügung stehen. Der Jugendbereich ist oftmals finanziell knapp ausgestattet, befristete Verträge und Abhängigkeit von Drittmitteln über Projekte kommen erschwerend hinzu. Diese Bedingungen hemmen Kreativität und Motivation. Die eingeworbenen Mittel sind zudem oftmals mit bestimmten Handlungserwartungen verknüpft, deren Umsetzung nicht immer sinnvoll in das jugendgerechte Konzept einer Kommune passt. Dabei sind im Jugendbereich vergleichsweise wenig Gelder nötig, um zu spürbaren Erfolgen zu kommen – oder auch, um Freiräume zu schaffen, die Kreativität erlauben und so die Selbstwirksamkeit junger Menschen stärken.

d) Kommunikation und Kooperation

„Tue Gutes und rede darüber“ – dies gilt auch für die Schritte zu mehr Jugendgerechtigkeit auf kommunaler Ebene. Eine gute Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bietet so nicht nur die Möglichkeit, die eigenen Projekte und Vorhaben sichtbar zu machen, sondern verleiht ihnen einen Platz in der Wahrnehmung von kommunalen Entscheidungsträger/-innen. Auf der anderen Seite müssen aber auch und gerade im Zuge der digitalen Transformation neue Wege erschlossen werden, junge Menschen auf kommunaler Ebene zu erreichen und miteinander zu vernetzen: Die vor Ort weit verbreiteten, traditionellen Kommunikationskanäle wie Amtsblätter und Tageszeitungen werden von den meisten Jugendlichen nicht genutzt, spielen aber eine Rolle im kommunalen Geschehen. Damit Themen und Angebote, die für Jugendliche relevant sind, auch wahrgenommen werden, braucht es sowohl geeignete Kommunikationswege als auch eine angemessene Ansprache, damit sprachliche Hürden möglichst niedrig sind. Dabei geht es nicht nur um das jugendgerechte Kommunizieren von Entscheidungen und Beschlüssen, sondern auch um Informationen zu anstehenden Fragen und um Rückmeldung zu laufenden Prozessen, zum Beispiel einem Follow-Up einer Jugendkonferenz und den dort geäußerten Anliegen.

In dieses vierte Themenfeld fällt auch eine Gelingensbedingung von Jugendgerechtigkeit auf kommunaler Ebene, die im Zuge der flächendeckenden Ganztagesbetreuung immer wichtiger wird: Die Kooperation mit Schule als Lebensort Nr. 1 vieler Jugendlicher ermöglicht es nicht nur, vielfältige Jugendliche für die prozessbezogenen Vorhaben zu erreichen und zu begeistern, sondern lässt Jugendgerechtigkeit zu einem Aspekt politischer und demokratischer Bildung werden, der eben nicht zwingend im Klassenzimmer, aber gemeinsam mit den Akteuren formaler Bildung gestaltet werden kann – und davon profitieren letztlich alle Institutionen und Akteure gleichermaßen.

Ausblick

Der Prozess „Jugendgerechte Kommune“ hat gezeigt: Die infrastrukturellen Bedingungen sind nicht entscheidend für das Gelingen von Jugendgerechtigkeit auf kommunaler Ebene, und es ist nicht der Unterschied zwischen Ost und West oder Großstadt und ländlichem Raum, der die Fokussierung auf und Umsetzung von jugendlichen Anliegen und Bedürfnissen verhindert oder ermöglicht. Vielmehr wurde deutlich, dass eben die Bereitschaft, diese (vermeintlichen) strukturellen Voraussetzungen konstruktiv, kreativ und kooperativ zu überwinden oder sie gar als Ausreden oder Konstruktionen dafür zu entlarven, sich dem Weg zu mehr Jugendgerechtigkeit zu entziehen, der erste und wohl auch der schwerste Schritt ist – danach erscheint aber vieles einfacher und bewältigbarer. Insofern muss den 16 Referenzkommunen für ihren großen Mut gedankt werden, sich alle für den ersten, viele für den zweiten und dritten und einige noch für den vierten Schritt zu mehr Jugendgerechtigkeit entschieden zu haben. Es werden gewiss noch weitere Schritte folgen.

Die umfassenden Erläuterungen zu den Gelingensbedingungen, unterfüttert mit vielen konkreten Beispielen aus den Referenzkommunen finden Sie in der Handreichung der Koordinierungsstelle (kostenlos als pdf (50MB) verfügbar).

Bitte bestellen Sie die Druckfassung der Publikation (kostenfrei) unter jugendgerecht(at)agj.de.

Die Broschüre kann für Fachveranstaltungen, Workshops oder Gruppenprozesse auch in höherer Auflage bestellt werden, sprechen Sie uns gerne an! Wir freuen uns über Ihr Interesse.