Wissen
Home > Eigenständige JugendpolitikStudie: Jugend in Europa wenig optimistisch

(22.06.2023) Auch in diesem Jahr hat die TUI-Stiftung im Rahmen der Jugendstudie 2023 junge Europäer*innen zu ihrer Lebenswelt, Identität und politischen Einstellungen befragt. Bei ihnen wachse das Ungleichheitsempfinden bei Themen wie Einkommen, Wohnen oder Karrieremöglichkeiten.

Menschenversammlung auf einem Platz mit europäischer Flagge Menschenversammlung auf einem Platz mit europäischer Flagge
Foto: S. Tung Tran via pexels.com
  • Positive Grundstimmung auch in Polen und Deutschland vorbei 

Unter den befragten jungen Menschen seien 52% der Meinung, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern, nur 22% würden an eine Verbesserung glauben. Noch am zuversichtlichsten seien die Befragten in Polen und Deutschland. Beides seien Länder, in denen junge Menschen in den Jahren zuvor immer deutlich optimistischer in die Zukunft schauten und mehrheitlich eine Verbesserung ihrer Situation im Vergleich zur Situation ihrer Eltern erwarteten. Doch diese positive Grundstimmung sei nun vorbei. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine habe der langjährigen Zuversicht offenbar stark zugesetzt. Unter deutschen Jugendlichen würden derzeit 44 Prozent an eine Verschlechterung und 27 Prozent an eine Verbesserung hinsichtlich Einkommen und Lebensstandard im Vergleich zu ihren Eltern glauben.

Auf die Frage: „Wenn Sie an die Zukunft denken, sind Sie dann generell eher optimistisch oder pessimistisch in Bezug auf Ihre persönliche Situation?“, hätten vor allem Jugendliche in Polen, Griechenland und Großbritannien deutlich negativer als in den vergangenen Jahren geantwortet. 2017 sagten 78 Prozent der Befragten in Polen und 65 Prozent in Großbritannien, sie seien „eher oder sehr optimistisch“. 2023 seien es nur noch 58 und 54 Prozent. Auch in Deutschland würden junge Menschen die eigene Lebenssituation zunehmend pessimistisch betrachten: 2017 schauten 64 Prozent darauf „eher oder sehr optimistisch“, 2023 dann nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten (56 Prozent).

Junge Menschen, die den Lebensstandard ihres Elternhauses als überdurchschnittlich beschreiben, blickten im Verhältnis von 67% (optimistisch ) zu 29% (pessimistisch) in die Zukunft. Bei jungen Menschen mit – nach eigenen Angaben – unterdurchschnittlichem Lebensstandard des Elternhauses zeigt sich dagegen ein gespaltenes Bild: 50% Optimismus, 46% Pessimismus. Dabei scheine sich der Pessimismus in allen befragten Ländern stärker durch die nationale Wirtschaftslage (diese bezeichneten 57 Prozent aller Befragten als eher oder sehr schlecht) als aus der persönlichen finanziellen Situation (27 Prozent eher oder sehr schlecht) zu speisen.

„Der Trend zeigt eindeutig nach unten. Der Optimismus junger Menschen in Europa schwindet, der Pessimismus ist auf dem Vormarsch. Das passiert nicht sprunghaft, sondern schleichend. Einen einschneidenden „Ukraine“- oder „Corona-Effekt“ gibt es aber nicht. Das Lebensgefühl junger Europäer und Europäerinnen trübt sich längerfristig und kontinuierlicher ein. Das bedeutet nach vorne schauend: Eine plötzliche Trendumkehr ist nicht sehr wahrscheinlich“, sagte der Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der FU-Berlin, der die Studie wissenschaftlich begleitet hat. 

  • Ungerechtigkeitsempfinden bei Arbeit und Finanzen sowie Wohnen besonders groß

Soziale Unterschiede seien jungen Europäer*innen – unabhängig vom eigenen wirtschaftlichen Wohlstand – sehr bewusst. Insgesamt sei das Ungleichheitsempfinden sehr groß: 68 Prozent sagten, das Einkommen im eigenen Land sei „sehr“ oder „eher“ ungleich verteilt, mit Blick auf die Themen Wohnen und Immobilien seien es 62 Prozent. Ähnlich sehe es bei Karrieremöglichkeiten und Vermögen aus, da seien es 61 bzw. 60 Prozent, die finden, dass die Chancen „sehr“ oder „eher“ ungleich verteilt sind. 

Chancenungleichheit herrsche nach Ansicht der jungen Menschen auch in den Bereichen Schule und Bildung. Das zeige sich besonders in der Frage, von welchen Faktoren es abhänge, ob jemand künftig Erfolg habe oder nicht. Der Zugang zu Bildung sei für 48 Prozent der Befragten dafür „sehr wichtig“ und für 32 Prozent „eher wichtig“. Auf Platz zwei folge Einkommen („sehr wichtig“: 44 Prozent, „eher wichtig“: 35 Prozent), gefolgt von Karrieremöglichkeiten sowie soziale Kontakte und Beziehungen. 

Insgesamt stimmten mehr als die Hälfte (55 Prozent) aller Befragten der Aussage nicht zu, dass alle im Land die gleichen Bildungschancen hätten. In Polen seien es nur 43 Prozent, in Großbritannien aber 66 Prozent. Ähnlich verhalte es sich beim Thema Ausbildung. Insgesamt 53 Prozent würden der Auffassung „Jeder im Land kann sich eine gute Ausbildung leisten“ nicht zustimmen.

Das hohe Ungleichheitsempfinden trage zum schwindenden Vertrauen junger Menschen in die politischen Institutionen bei. Sie würden sich oft von der Politik nicht gesehen fühlen und seien unzufrieden mit den bestehenden Demokratien. Ein Viertel der jungen Europäer*innen (26 Prozent) fühle sich „überhaupt nicht“ von der Politik vertreten, ein Drittel „kaum“ (33 Prozent). Im Ländervergleich schneide Deutschland noch am positivsten ab, nur 18 Prozent sagten, dass sie sich sich „überhaupt nicht“ von der Politik vertreten fühlen, 31 Prozent „kaum“. Schlusslicht sei Griechenland mit 39 bzw. 31 Prozent. 

  • Wählen bleibt für junge Menschen wichtig

Trotz wachsender Unzufriedenheit mit der Demokratie im eigenen Land bleibe der Gang zur Urne vor allem für junge Deutsche wichtig. 68 Prozent sagten „Wählen ist Bürgerpflicht“, aber weniger als die Hälfte (48 Prozent) gab an, in Schule und Ausbildung gut auf das Wählen vorbereitet zu werden. Etwas mehr als ein Drittel (34 Prozent) zeige sich desillusioniert und sei der Meinung, bei Wahlen komme es auf die eigene Stimme des Einzelnen nicht an. 

In den anderen Ländern seien die Ergebnisse noch deutlicher. Mehr als die Hälfte (55 Prozent) der jungen Europäer*innen seien der Meinung, dass „Leute wie sie“ keinen Einfluss darauf haben, was die Regierung macht. 70 Prozent der jungen Befragten stimmen der Aussage zu, dass Politiker*innen zu viel reden und zu wenig handeln. Insgesamt nehme die Politikverdrossenheit und grundlegende Skepsis und damit die Empfänglichkeit für populistische Argumente zu – vor allem in Großbritannien, Griechenland und Polen.

  • Politische Beteiligung und Engagement? Ja, aber in Grenzen

Grundsätzlich begrüßten die Befragten verschiedene Formen, den eigenen politischen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen. Der Antrieb, aktiv dabei zu sein, sei aber deutlich weniger ausgeprägt. Demonstrationen und Versammlungen würden 74 Prozent aller Befragten für gerechtfertigt halten, aber nur die Hälfte davon (37 Prozent) würde selbst daran teilnehmen. 

Daneben sei im Zeitvergleich ein negativer Trend der Einstellungen in Bezug auf Wahlen beobachtbar. In Deutschland sagten noch 2021 82 Prozent der Befragten, Wahlen würden korrekt und fair abgehalten, 2023 waren es nur noch 63 Prozent. Diese Entwicklung sei auch in fast allen anderen Ländern zu beobachten, eine Ausnahme bilde Spanien. 

Hintergrund

Die Ergebnisse der siebten repräsentativen Jugendstudie „Junges Europa“ der TUI Stiftung, wurden am 15. Juni in Berlin vorgestellt. Das Meinungsforschungsinstitut YouGov befragte dazu im März 2023 mehr als 7.000 Menschen zwischen 16 und 26 Jahren in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, Griechenland und Polen. Die Studie wird seit dem Jahr 2017 jährlich durchgeführt, um die Lebenswelt, Identität und politischen Einstellungen junger Menschen in Europa besser verstehen zu können.

Ausführliche Informationen sowie die Gesamtstudie „Junges Europa 2023“ sind hier nachzulesen.

Quelle: TUI-Stiftung vom 15.06.2023