Home > Eigenständige Jugendpolitik"Wir müssen erfahren, was Jugendliche wollen"

Die Stadt Trier nutzt vielfältige Strukturen der kommunalen Jugendpolitik, wie das Jugendparlament und Steuerungsgruppe Eigenständige Jugendpolitik. Graiswin Kattoor spricht hier als Jugendhilfeplanerin in der Stadt Trier.

Welche Rolle hat das Jugendamt Trier gespielt in der Entwicklung der Eigenständigen Jugendpolitik?

Vor 10 Jahren wurde das erste Jugendparlament in Trier gewählt und da waren wir bereits involviert. Wir haben als Jugendamt im Rahmen der Jugendhilfeplanung überlegt, wie wir uns in Richtung kommunale Jugendstrategie weiterentwickeln können. 2015 haben wir uns dann für die Jugendstrategie des Bundes „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“ beworben und sind eine der 16 Referenzkommunen geworden. Wir haben eine Steuerungsgruppe gegründet zur Eigenständigen Jugendpolitik mit Akteur*innen der Jugendarbeit, der Jugendhilfe, Vertreter*innen aus dem Jugendamt, Jugendparlamentarier*innen, Schulsozialarbeit, Jugendmigrationsdienst und interessierten Jugendlichen.

Warum ist es der Stadt Trier ein Anliegen, die Interessen der Jugendlichen zu bündeln?

Eigenständige Jugendpolitik ist ein langfristiger Prozess mit dem Ziel, die Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen in der Stadt Trier stärker in den politischen Fokus zu rücken. Um die Interessen der Jugendlichen zu erfahren und geltend zu machen, brauchen wir Strukturen und Formate. Ich finde es sehr wichtig, Jugendliche einzubeziehen, weil ich nicht über den Kopf der Jugendlichen hinweg planen oder organisieren möchte. Der Zuspruch und die Akzeptanz bei Jugendlichen ist hoch, weil wir mit den Impulsen der Jugendlichen aus der Steuerungsgruppe unsere Vorhaben gestalten. Jugendpolitik muss partizipativ sein. Es ist wichtig, dass die Jugendlichen diese Formen der Beteiligung nicht als Alibi-Veranstaltung für sich einordnen, sondern dass sie die Erfahrung machen, dass sich in Trier etwas bewegt. Ich habe auch die Erwartung, dass die Jugendlichen sich mit ihren Wünschen einbringen und somit Trier ein Stück jugendgerechter gestalten. Wenn wir nicht wissen, was sie interessiert, können wir die Stadt Trier nicht jugendgerechter gestalten.

Was sind Gelingensbedingungen, um mehr jugendpolitisches Bewusstsein zu fördern?

Die Eigenständige Jugendpolitik ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es sind unterschiedliche Akteur*innen wichtig, um eine Gesamtstrategie für die Kommune zu entwickeln. Im Rahmen der Jugendkonferenz organisieren wir unterschiedliche Dialogmöglichkeiten zwischen Entscheidungsträger*innen aus Verwaltung und Politik mit jungen Menschen. Dabei haben die jungen Menschen Zeit, Themen auszuarbeiten und Forderungen zu stellen. Am Nachmittag findet ein Austausch zwischen Entscheidungsträger*innen aus Verwaltung und Politik und den Jugendlichen statt. Die Entscheidungsträger*innen schauen dann, wo sie eigene Anknüpfungspunkte zwischen den Forderungen der Jugendlichen und ihrer eigenen Arbeit sehen. Außerdem ist eine gut funktionierende Steuerungsgruppe entscheidend dafür, dass sich Eigenständige Jugendpolitik in einer Stadt weiter entwickeln kann. Aber auch die Schulsozialarbeit und der Jugendmigrationsdienst sind wichtige Partner, um viele Jugendliche zu erreichen und einen Fokus auf die interkulturelle Öffnung legen zu können.

Gab es in der Arbeit mit den Jugendlichen ein besonderes Aha-Erlebnis?

Innerhalb der Steuerungsgruppe würde ich sagen, das Engagement der Jugendlichen, welches sehr bereichernd ist. Wenn ich an die Jugendkonferenz denke, ist mir ein Statement einer Projektgruppe sehr in Erinnerung geblieben. Nämlich die Fragestellung: Sind wir obdachlos? Wir sind nicht willkommen, wenn wir kein Geld haben. Die Jugendlichen haben ihre Situation provokativ mit Obdachlosigkeit verbunden. Dieser Satz ist vielen Entscheidungsträger*innen aus den politischen Gremien in Erinnerung geblieben und wurde in vielen Ausschusssitzungen zitiert. Aus der Jugendkonferenz hat sich eine Projektgruppe ergeben, die ein Jugendcafé in der Innenstadt einrichten möchte, wo sich junge Menschen konsumfrei aufhalten und ihre Zeit verbringen können.

Welche Impulse kamen von der Landesebene?

Wir haben über die Landesebene die Netzwerkanalyse kennengelernt im Rahmen eines Projektgruppentreffens. Für Trier haben wir dann analysiert, welche Netzwerke wir haben und wo wir gezielter schauen können, wie wir jugendrelevante Themen stärker vernetzen und in die Breite tragen können. Wir konnten unsere Erfahrungen auch mit anderen teilen zu den Fragen, welche Akteur*innen wichtig sind, wie eine Steuerungsgruppe aufgebaut wird, wie Jugendkonferenzen organisiert werden und welche (digitalen) Formate geeignet sind. Die wissenschaftliche Begleitung für das Praxisentwicklungsprojekt war sehr hilfreich. In den regelmäßig stattfindenden Projektgruppentreffen konnte differenziert die Situation in der Kommune analysiert werden.

Was sind noch weitere Schritte, um Eigenständige Jugendpolitik voranzutreiben?

Die Unterstützung der Verwaltung, des Stadtvorstandes, des*der Amtsleiter*in und der Politik ist sehr wichtig für den Prozess. Das sind wichtige Partner*innen hinsichtlich einer gesamtgesellschaftlichen Entwicklung. Wir haben in Trier die Erfahrung gemacht, dass Fraktionen aufgrund von Bedarfslagen aus den Jugendkonferenzen eigene Anträge gestellt haben, beispielsweise zum Thema Orte für junge Menschen in verschiedenen Stadtteilen. Im Hinblick auf die Einbeziehung weiterer Akteur*innen, würde ich drei verschiedenen Ebenen unterscheiden. Auf der Ebene der Jugendlichen würde ich mir wünschen, dass wir stärker den Aspekt der interkulturellen Öffnung mitdenken und junge Menschen mit internationaler Geschichte oder Geflüchtete stärker einbinden. Es wäre schön, wenn sie sich beteiligen wollen und ihre Erfahrungen in die Steuerungsgruppe einbringen. Es wäre außerdem zielführend, würden wir mehr Jugendliche erreichen, die noch nicht in einer Organisation oder Einrichtung angebunden sind. Auf der Ebene der Fachkräftefinde ich die Jugendverbandsarbeit sehr wichtig. Diese möchten wir in Trier im Rahmen der Eigenständigen Jugendpolitiknoch stärker einbinden. Auf der Ebene der Verwaltung wäre es gut, wenn wir noch andere Planungsfachkräfte aus unterschiedlichen Dezernaten stärker einbinden könnten beziehungsweise Schnittstellen gestalten können hinsichtlich einer Querschnittspolitik.

Was sind Herausforderungen, denen die Jugendbeteiligung in Trier begegnet?

Es bleibt eine Herausforderung, Formate zu entwickeln, von denen sich alle jungen Menschen angesprochen fühlen. Da wünsche ich mir mehr Unterstützung auf Landes- oder Bundesebene. Als Steuerungsgruppe planen wir viel und haben unsere Arbeitsabläufe und besprechen das mit den Jugendlichen, die in der Steuerungsgruppe sind. Aber ich bin mir sicher, dass nicht viele dieses Format attraktiv finden. Bislang haben wir noch nicht die perfekte Methode gefunden, aber durch unsere Events haben wir viele Jugendliche erreicht, die wir sonst nicht erreicht hätten. Wir haben uns sehr breit aufgestellt, um alle Jugendlichen im Blick zu haben.

Profilbild Graiswin Kattoor

Das Jugendministerium unterstützt im Rahmen der Jugendstrategie "JES! Jung. Eigenständig. Stark" rheinland-pfälzische Städte und Landkreise bei der Entwicklung und Etablierung kommunaler Jugendstrategien.

Das Interview wurde am 2. Februar 2021 geführt. Es ist im Rahmen eines Filmprojekts von jugendgerecht.de entstanden, bei dem aktuelle jugendpolitische Entwicklungen in Deutschland portraitiert werden.