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Home > Eigenständige Jugendpolitik18 Argumente für Kinder- und Jugendbeteiligung in Kommunen

(05.01.2023) Warum Kinder- und Jugendbeteiligung für Kommunen unverzichtbar ist, beschreibt Prof. Dr. Roland Roth in diesem Fachbeitrag anhand von 18 Argumenten und erklärt, auf welche Ressourcen Kommunen zum Auf- und Ausbau von Beteiligungsmöglichkeiten zurückgreifen können.

Stadt in ländlichem Raum mit Blick auf Kirche und Marktplatz Stadt in ländlichem Raum mit Blick auf Kirche und Marktplatz
Foto: Jörg Farys, (c) Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

I. Achtzehn Argumente                                                                   

Die umfassende Beteiligung von jungen Menschen an der Gestaltung ihrer Lebensumstände sollte in Demokratien selbstverständlich sein. Trotz deutlicher Fortschritte in Theorie und Praxis gibt es noch erhebliche Defizite in der Umsetzung dieser demokratischen Basisnorm. Gute Argumente können helfen, ein Umdenken bei skeptischen oder desinteressierten Erwachsenen zu fördern. Hier eine Reihe von Argumenten, die in der kommunalen Praxis hilfreich sein können.

1. Rechtliche Verpflichtungen.

Kommunen kommt eine besondere Verantwortung bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention (Art. 12) zu, die in Deutschland geltendes Recht ist. Sie verpflichtet, junge Menschen „in allen sie betreffenden Angelegenheiten“ zu hören und ihre Sichtweisen angemessen zu berücksichtigen. Nur mit einer breiten, kontinuierlichen Beteiligung können junge Menschen bei allen sie betreffenden Anliegen mitwirken, soweit sie kommunal gestaltet werden können. Kinder- und Jugendbeteiligung ist deshalb eine wichtige und verpflichtende kommunale Angelegenheit, auch dort, wo sie noch nicht in die kommunalen Pflichtaufgaben aufgenommen wurde.

Das Recht auf Gehör strahlt auf andere Normen der Kinderrechtskonvention aus, speziell die „Säulen“ Prävention/Schutz und Förderung, wobei die Unterzeichnerstaaten die Entwicklung des Kindes im „größtmöglichen Umfang“ garantieren.

Für die Verwaltungspraxis ist der Kindeswohlvorrang (Art. 3,1) von besonderer Bedeutung. Das Kindeswohl ist bei allen Maßnahmen von privaten und öffentlichen Trägern, die Kinder betreffen, „vorrangig zu berücksichtigen“. Diese Norm gilt auch für Beteiligungsprozesse. Vorrang bedeutet nicht, dass Kinderinteressen stets zum Zuge kommen. Wenn dies nicht der Fall ist, besteht jedoch eine Abwägungs- und Begründungspflicht, die im Zweifel von der Kommunalaufsicht eingefordert werden kann.[1]

Die Belange von Kindern kommen in nahezu allen Bereichen der Kommunalpolitik ins Spiel. Für viele gibt es zudem eigene kinderpolitische Standards und rechtliche Normen (Medien, Gesundheitsversorgung, Bildung, angemessene Lebensbedingungen, Recht auf Spiel und natürliche Umwelt).[2]

In einigen Bereichen (SGB VIII, § 8; Bundesbaugesetz) ist Beteiligung verpflichtend.

Fazit: „Kinder- und Jugendbeteiligung ist also keineswegs nur eine „freundliche pädagogische Spielerei“, keine politische Nebensache, bei der man nach Belieben mal wohlwollend Mitwirkung gewährt oder auch nicht. Es gibt – im Gegenteil – eine Vielfalt an rechtlichen Normierungen und Vorschriften, die die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen als Recht auf kommunaler Ebene fixieren und aus der Beliebigkeit herausführen – und dies auf vielen Ebenen“[3].

2. Wahrnehmungs- und Beteiligungslücken schließen.

Junge Menschen wollen gesehen und gehört werden. Davon berichten nicht nur zahllose Jugendstudien. Es geht darum, sie als Bürger*innen anzuerkennen und jene Wahrnehmungs- und Beteiligungslücke zu schließen, die junge Menschen auch kommunal mehrheitlich beklagen (zuletzt im Kontext von Corona, wo auf ihre Bedürfnisse kaum Rücksicht genommen wurde und ihre Vorschläge und (digitalen) Kompetenzen kaum Beachtung fanden). In Jugendstudien tun dies regelmäßig mehr als zwei Drittel aller jungen Menschen. Diese Wahrnehmungs- und Beteiligungslücke gibt es nicht nur in Großstädten, sondern auch in Dörfern, wo der Kontakt zu BürgermeisterInnen etc. nur scheinbar leichter ist.[4]

Die Wahrnehmungs- und Beteiligungslücke kann zusätzlich durch die Absenkung des Wahlalters verkleinert werden.

3. Kommunen als zentrale Orte in der Lebenswelt von jungen Menschen.

Kommunen, ihre Einrichtungen und Dienste prägen in großem Umfang die Lebenswelt von jungen Menschen. Diese alltägliche Nähe bietet niedrigschwellige Zugänge zu Mitsprache und Gestaltung, wie sie die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen fordert.

Kommunen sind für die Lebenswelt von jungen Menschen zentral (hohe Ortsbindung), zumal Kommunen in Deutschland für die Ausgestaltung und Versorgung mit vielen sozialstaatlichen Einrichtungen und Leistungen zuständig sind (z.B. SGB VIII, Kitas, Schulträgerschaft).

4. Sozialer Zusammenhalt.

Je stärker die Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen ausgestaltet sind, je mehr sie gehört und ihre Stimme berücksichtigt wird, desto stärker sorgen sie für die soziale und politische Integration einer Bevölkerungsgruppe, die nur über eingeschränkte politische Rechte – vor allem fehlt meist das Wahlrecht - verfügt. Aus „Problem- und Randgruppen“ können durch gelungene Beteiligung gleichberechtigte Bewohnerinnen und Bewohner einer Gemeinde werden.

5. Bürgernähe von Kommunen.

Die oft beschworene kommunale Bürgernähe spielt gerade für die junge Menschen eine wichtige Rolle. Aufgrund ihrer eingeschränkten Mobilität sind Kinder und Jugendlichen sind Kommunen der Adressat ihrer Wünsche und Forderungen, den sie am leichtesten erreichen können. Land und Bund oder gar die EU sind deutlich weiter entfernt. Die kommunale Selbstverwaltung bietet zudem Handlungsspielräume, die selbst im Bereich der Pflichtaufgaben genutzt werden können. Zeigen sich Kommunen verstockt, drohen politischer Rückzug, Entfremdung und Zynismus.

6. Gemeinsame Agenda entwickeln.

Kinder und Jugendliche sind kein einheitliches Gebilde, sondern in ihren Vorstellungen und Interessen nach Alter, sozialer Herkunft, Geschlecht, Bildungsstand, Jugendkultur etc. sehr vielfältig, vermutlich wesentlich vielfältiger als die Erwachsenenwelt. Außerdem verändern sich ihre Bedürfnisse wesentlich schneller, als dies in späteren Altersphasen der Fall ist. Gemeinsame Interessen können sie nur in Beteiligungsprozessen entwickeln und finden (s. Schülerhaushalte). Indem sie aktiv Verantwortung für Gleichaltrige übernehmen und in ihrem Interesse handeln, lernen sie über die eigenen unmittelbaren Bedürfnisse hinaus die Suche nach Lösungen, die einem breiten gemeinsamen Interesse gerecht werden.

Repräsentativ zusammengesetzte Kinder- und Jugendparlamente (KiJuPa) bieten z.B. die Gelegenheit, sowohl die gemeinsamen Interessen junger Menschen in einer Kommune herauszufinden und als auch die besonderen Interessen einzelner Gruppen von Jugendlichen (junge Menschen mit Migrationsgeschichte, mit körperlichen Einschränkungen etc.) besonders zu beachten. Sie erhöhen die Sichtbarkeit der vielfältigen Interessen und Meinungen junger Menschen im öffentlichen Raum und erlauben angemessene Kompromisse und Lösungen. Angesichts dieser Vielfalt nur auf in der Regel erwachsene ExpertInneen und politische EntscheiderInnen zu setzen, verspricht keine angemessene Jugendpolitik.

7. Kommunen als demokratischer Lernort.

Kommunen werden durch Beteiligung zu einem demokratischen Lernort. Demokratie muss gelernt werden, von klein auf und immer aufs Neue. Zentral geht es um die Erfahrung von politischer Selbstwirksamkeit in einem demokratischen Kontext. Selbstwirksamkeit hat zwei Seiten: Zum einen traue ich mir zu, etwas zu bewirken und zum anderen vertraue ich darauf, dass ich durch mein Engagement etwas bewirken kann – nicht immer, aber immer wieder. Diese Erfahrung ist ohne den Erwerb von einschlägigen Kompetenzen nicht zu haben. Letztlich können diese nur in Beteiligungsprozessen erworben werden.

8. Vielfältige Beteiligungsgelegenheiten entwickeln – von Beteiligungsinseln und -events zu Beteiligungslandschaften.

Das mögliche Spektrum ist gerade in der Kinder- und Jugendbeteiligung breit und kann sich sinnvoll ergänzen: Von repräsentativen Formaten (KiJuPas), direktdemokratischen Formen (Kinder- und Jugendbudgets, Projekte), dialogischen Formaten (Jugendbeiräte, Bewertung von Kinderspielplätzen), bürgerschaftlichem Engagement in Vereinen und Verbänden, Initiativen und Protesten (FFF als Generationenthema) bis zur Alltagsdemokratie in Kitas, Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen). Punktuelle und längerfristige, selbstorganisierte und institutionell verfasste Beteiligungsgelegenheiten, solche die von der Kommune angeboten werden und solche, die von Jugendinitiativen erstritten werden, gilt es zu stärken.

Als längerfristiges und anspruchsvolles Beteiligungsformat bieten z.B.  KiJuPas den Engagierten besondere Lernchancen. KiJuPas eröffnen jungen Menschen besondere Gestaltungsmöglichkeiten und Wirksamkeitserfahrungen, sei es durch den Einfluss auf kommunale Entscheidungen, sei es durch selbstverwaltete Budgets, die es ermöglichen, eigene Projekte und Vorhaben umzusetzen.

Ziel sollte ein umfassendes kommunales Beteiligungskonzept sein, das Aussagen zu folgenden fünf Schwerpunkten enthält: Spektrum der Zielgruppen, die Anzahl und Hervorhebung bestimmter Handlungsfelder, das Spektrum der Themen, die strategische Ausrichtung und methodischen Formate und Grundformen.[5]

9. Beteiligungs- und Engagementbiografien stärken („Beteiligungsketten“).

Kinder wachsen heute überwiegend in Verhandlungsfamilien auf, lernen also Beteiligung bereits zuhause. Diese Ansprüche, mitbestimmen zu können, bringen sie auch in Kindergärten und Schulen ein. Kommunen sind gut beraten, dieses Beteiligungspotential zu nutzen. Möglichst breite, aufeinander aufbauende Formate der Kinder- und zur Jugendbeteiligung sind gefragt, die sich über das gesamte Altersspektrum erstrecken.

10. Kinder- und jugendgerechte kommunale Infrastruktur.

Kommunale Einrichtungen und Leistungen, die von Kindern und Jugendlichen genutzt werden, können durch Beteiligung jugendgerecht werden (vom Spielplatz bis zum ÖPNV-Fahrplan) und intensivere Nutzungen auslösen. Dadurch werden es „ihre“ Einrichtungen und Plätze, mit denen in der Regel wertschätzend und pfleglich umgegangen wird.

11. Prävention.

Beteiligung kann dazu beitragen, dass Kommunen für Kinder und Jugendliche (und nicht nur für sie) zu sicheren Orten werden, indem sie ihre Erfahrungen auf öffentlichen Plätzen oder Verkehrswegen einbringen. Im Bereich des Kinderschutzes sorgt z.B. erst die Beteiligung von Kindern für eine verlässliche Schulwegeplanung.

12. Familienfreundliche Kommunen.

Kommunen steigern durch Kinder- und Jugendbeteiligung ihre Attraktivität für Familien mit Kindern. Sie signalisieren die gesteigerte Bereitschaft, sich kinder- und familienfreundlich zu entwickeln.

13. Lokale Bindung.

Beteiligungserfahrungen verstärken die Bindung von jungen Menschen an ihre Kommune. Sie kommen nach ihrer Ausbildung und bei sich bietender Gelegenheit eher zurück, wenn sie die Erfahrung gemacht haben, dass ihre Stimme gehört worden ist.

14. Interkommunale Konkurrenz.

In der interkommunalen Konkurrenz ist Kinder- und Familienfreundlichkeit ein weicher Faktor, der nicht unterschätzt werden sollte. Beteiligung kann dazu beitragen, dass bestimmte Kommunen bevorzugt als Wohnort gewählt werden.

15. Von 8 bis 80.

Die intensive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen kommt auch anderen Bevölkerungsgruppen zugute, z.B. Älteren oder Menschen mit Beeinträchtigungen (In Regensburg gibt es auf Anregung von Kindern kleine Niederflurbusse in der Weltkulturerbe-Altstadt, die auch von Touristen geschätzt werden).

16. Stadtgrün.

Natur, Parks oder Stadtgrün sind für Kinder und Jugendliche wichtige Spiel-, Lern- und Erfahrungsräume. Mit der Aufwertung solcher Räume werden Kommunen zugleich klimagerechter und steigern das Wohlbefinden aller Einwohnerinnen und Einwohner.

17. Generationengerechtigkeit.

Aktuell sehen sich mehr als zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen nicht angemessen beteiligt und fordern mehr Mitgestaltung.[6] Kinder- und Jugendbeteiligung kann maßgeblich zur Generationengerechtigkeit beitragen – eine Herausforderung, die angesichts globaler Herausforderungen - Klimawandel und Pandemien sind nur zwei der aktuell besonders prominente Themen - wichtiger denn je ist. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem bahnbrechenden Urteil zum Klimaschutz am 24. März 2021 die Norm der „intertemporalen Freiheitssicherung“ gesetzt, die das Recht auf eine menschenwürdige Zukunft und die Schonung künftiger Freiheitsräume  einschließt. Dies kann nur mit Beteiligung der heute jungen Menschen gelingen.

Mit Beteiligung von Kindern und Jugendlichen können Kommunen z.B. neue Klimaschutz- und Pandemiepläne entwickeln.

18. Zukunftsfähigkeit.

Kommunen steigern ihre Zukunftsfähigkeit, wenn sie Kinder und Jugendliche an der Gestaltung des Gemeinwesens beteiligen und deren Perspektiven berücksichtigen. Das gilt unabdingbar für die Dorf- und Stadtentwicklung.

Kinder und Jugendliche werden oft und zurecht als Avantgarde von Zukunftstrends gesehen. Das gilt heute z.B. für die Themen Klimawandel und Digitalisierung. Ihre Erfahrungen mit dem Umgang mit digitalen Medien können durch institutionalisierte Beteiligungsprozesse aufgenommen und genutzt werden. Dies gilt nicht zuletzt für die Ausgestaltung der digitalen Daseinsvorsorge in den Kommunen.

Das Zukunftsthema reicht weit über die Kommunen hinaus, wie eine gerade gestartete UN-Kampagne “Be Seen Be Heard” deutlich macht. Ihre Perspektive lässt sich so zusammenfassen: Wir haben nur eine globale Zukunft, wenn wir als verantwortliche Erwachsene auf die junge Generation hören, daraus politische Konsequenzen ziehen und sie an unseren Entscheidungen beteiligen:

„Young people care – about our planet, our future and our political systems. In the last decade, young people have initiated social movements, tackling issues that impact their own lives and those of communities around the globe. They have done so with hope and optimism about the future, at a time when we face extreme challenges. In a world where global conflict, climate change and socio-economic issues are becoming ever more acute, we need young people’s fresh perspectives to guide political decision-making.”[7]

II. Barrieren und Widerstände gegen Kinder- und Jugendbeteiligung

Angesichts der vielen guten Gründe, die empirisch unterschiedlich stark gestützt werden, stellt sich die Frage, warum die Verbreitung der Kinder- und Jugendbeteiligung kein rasanter Selbstläufer ist. Hier einige wenige Hinweise auf mögliche Ursachen:

Adultismus. Kinder- und Jugendbeteiligung beginnt im Kopf der Erwachsenen, sie laden zur Beteiligung ein, ermöglichen und unterstützen sie – oder auch nicht. Wer Kindern und Jugendlichen die Fähigkeit zur Mitgestaltung abspricht oder sich nichts davon verspricht, wird die Finger davonlassen.

Schwache rechtliche Ausgestaltung. Die zu wenig bekannte UN-Kinderrechtskonvention, ihre unzulängliche rechtliche und verwaltungsbezogene Umsetzung, sowie das traurige Schicksal der halbherzigen Versuche, Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen, sind Belege dieses Mangels. Nur 4 Bundesländern haben ihren Kommunen eine verpflichtende Kinder- und Jugendbeteiligung verordnet. In vielen Rechtsbereichen sind die Kinderrechte nicht angekommen. Solche internationalen Verpflichtungen werden von vielen Juristen als das Eindringen ausländischer Rechtsauffassungen in das gute deutsche Rechtssystem betrachtet und entsprechend ignoriert.

Mängel in der Verwaltungsausbildung. In der Regel gehören Beteiligungskompetenzen nicht zum Ausbildungskanon für die öffentliche Verwaltung. Beteiligungsprozesse werden deshalb häufig von externen Dienstleistern durchgeführt. Lernprozesse in der Kommunalverwaltung sind deshalb eher unwahrscheinlich.

Schulen als geschlossene Anstalten. Schulen bereiten nur selten auf das Mitwirken in der Kommunalpolitik vor. Die Öffnung der Schulen in die Kommunen hinein, ist seit Jahren ein Wunsch engagierter Schulreformbemühungen (positives Beispiel: der Kommunaltag in BaWü).

Unterfinanzierung und Überregelung der Kommunen. Kommunen scheuen sich oft, Beteiligungsprozesse aufzulegen, weil sie im Geflecht föderaler Politik keine Handlungsspielräume sehen und/oder glauben, dafür kein Geld zu haben. Dass Beteiligung auch Geld kostet, ist unstrittig. Aber die möglichen Erträge von Beteiligungsprozessen werden meist unterschätzt. Gerade junge Menschen gehen z.B. mit finanzieller Verantwortung – etwa bei der Vergabe von Jugendbudgets - in der Regel sehr sorgsam um. Zudem lösen Beteiligungsprozesse oft freiwilliges Engagement aus, dessen Wert die finanziellen Aufwendungen der Kommune übersteigen kann.

Die rechtlichen Vorgaben und „golden Zügel“ mittels strikter Sachbindung von finanziellen Zuweisungen durch Land, Bund und EU sind in den letzten Jahrzehnten strikter geworden und engen die kommunalen Handlungsspielräume erheblich ein. Beteiligung droht unter diesen Bedingungen zur „Treppe ins Nichts“ zu werden. Gleichwohl zeigen empirische Studien, dass selbst bei rechtlich strikt geregelten Pflichtaufgaben Kommunen deutlich unterschiedliche Wege gehen. Beteiligung kann dabei helfen, solche Spielräume zu finden und zum Wohl der Bürgerschaft, ob jung oder alt, zu nutzen.

III. Ressourcen

Wenn sich Kommunen und ihre Bewohner*innen für mehr Kinder- und Jugendbeteiligung einsetzen, haben sie nicht nur gute Gründe, sondern sie können vielfältige praktische Unterstützung finden. Innovatives Lernen vollzieht sich im kommunalen Bereich meist durch die Auseinandersetzung mit der „guten Praxis“ anderer Kommunen.

Reicher Erfahrungsschatz. Von Jugendlichen geleitete, selbstorganisierte Initiativen bieten eine Menge Anregungen. Gerade hat „Schüler Helfen Leben“, die sich mit einem Sozialen Tag seit Jahren in den Kriegsgebieten Ex-Jugoslawiens, in jüngster Zeit auch für syrische Geflüchtete und junge Menschen aus der Ukraine engagiert, sein 30. Jubiläum gefeiert.

Der Anteil der Kommunen, die Partizipationsangebote machen, hat sich von einem Drittel (1999) auf drei Viertel (2017) gesteigert.[8]

Nationale und internationale Netzwerke bieten Anregungen und professionelle Unterstützung bei der Weiterentwicklung der kommunalen Kinder- und Jugendbeteiligung - so etwa Unicef – child-friendly cities, DKHW und das Bundesnetzwerk Kinder- und Jugendbeteiligung, der Verein “Kinderfreundliche Kommunen“ oder die Initiative des BMFSFJ „Starke Kinder- und Jugendparlamente“.

Wir verfügen über zahlreiche Handlungsempfehlungen für Kommunen und Qualitätskataloge für gelingende Beteiligungsprozess. Jede Kommune muss zwar ihren eigenen Weg finden, aber das Rad nicht neu erfinden.

Bürgerbeteiligung und die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen werden in jüngster Zeit stärker zusammen gedacht und können wechselseitig voneinander profitieren. So hat der Freistaat Sachsen eine Förderrichtlinie zur Beteiligung aufgelegt, die Kommunen, zivilgesellschaftliche Akteure aber auch Kinder- und Jugendinitiativen bei der Gestaltung von Beteiligungsprozessen unterstützt. In der Dorf- und Stadtentwicklung gibt es bereits gute Beispiele von Beteiligungsformaten, die alle Altersgruppen ansprechen (Beispiel Sexau). Auch in kommunalen Beteiligungsleitlinien werden zunehmend Kinder und Jugendliche berücksichtigt oder es werden, wie in Rastatt, eigene Beteiligungsleitlinien für Kinder und Jugendliche entwickelt.

Autor: Prof. Dr. Roland Roth, Politikwissenschaftler und Bürgerrechtler, er lehrte zuletzt Politikwissenschaft am Fachbereich Sozial– und Gesundheitswesen der Hochschule Magdeburg–Stendal.

Der Fachbeitrag ist als Blog-Post auf der Homepage des Vereins "Kinderfreundliche Kommunen" erschienen und ist zudem als pdf hier verfügbar.

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Vereins Kinderfreundliche Kommunen, 03.01.2023

Literaturverzeichnis:

[1] Donath, Philipp B. 2019: Gutachten Kinderrechte im kommunalen Verwaltungshandeln. Berlin: DKHW.
[2] Bär, Dominik/Roth, Roland/Csaki, Friderike (Hrsg.) 2021: Kinderrechte kommunal verwirklichen. Ein Handbuch. Frankfurt/M: Wochenschau Verlag.

[3] Stange, Waldemar 2022: Kinder- und Jugendbeteiligung in der Kommune. Partizipationslandschaften und Beteiligungsketten. In: DKHW (Hrsg.), Kinderrechte in Deutschland. München: Kopaed Verlag, S. 68.
[4] Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg 2020: Jugendstudie: Kommunale Jugendbeteiligung in Baden-Württemberg 2019. Stuttgart: LpB.
[5] Roth, Roland/Stange, Waldemar 2020: Starke Kinder- und Jugendparlamente. Berlin: DKHW, S. 75, 80 f.
[6] United Nations 2022: Be Seen Be Heard. Understanding young people’s political participation (https://beseenbeheardcampaign.com/static/media/UN_REPORT_TBS_ACCESSIBLE.b891cbcfa84c773f78e5.pdf), S.7.
[7] United Nations 2022: Be Seen Be Heard. Understanding young people’s political participation (https://beseenbeheardcampaign.com/static/media/UN_REPORT_TBS_ACCESSIBLE.b891cbcfa84c773f78e5.pdf), S. 5.
[8] United Nations 2022: Be Seen Be Heard. Understanding young people’s political participation (https://beseenbeheardcampaign.com/static/media/UN_REPORT_TBS_ACCESSIBLE.b891cbcfa84c773f78e5.pdf), S. 67.