Das Land Brandenburg ist seit langem mit dem Wahlalter ab 16 Jahren bei Landtagswahlen und dem verpflichtenden Beteiligungsparagraphen § 19 früher § 18a in der Kommunalverfassung für viele Bundesländer ein Vorbild in Sachen Kinder- und Jugendbeteiligung. Auch Kinder- und Jugendbeauftragte gibt es nur in drei weiteren Bundesländern. Nun hat das Land gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen das Kinder- und Jugendgesetz entwickelt und verankert zudem weitere Beteiligungsstrukturen, die es jungen Menschen ermöglichen, sich politisch einzubringen und ihre Rechte einzufordern. Die Kinder- und Jugendbeauftragte Brandenburgs, Katrin Krumrey, will junge Menschen dabei unterstützen, sich mehr Gehör zu verschaffen und berichtet im Interview zu ihren aktuellen Vorhaben.
Ihr Aufgabenfeld als die Brandenburger Landes- Kinder- und Jugendbeauftragte ist vielfältig. Was sind momentan Ihre zentralen Vorhaben?
Als Brandenburger Landes- Kinder- und Jugendbeauftragte vertrete ich die Interessen junger Menschen gegenüber der Landesregierung und setze mich auch für ihre Beteiligungsrechte ein. Ein zentrales Anliegen meiner Arbeit ist außerdem die Stärkung und Unterstützung selbstorganisierter Beteiligungsstrukturen, damit Kinder und Jugendliche ihre Anliegen selbst vertreten können. Dafür arbeite ich eng mit dem Landesjugendring, dem Kompetenzzentrum für Kinder- und Jugendbeteiligung sowie weiteren Gremien zusammen und unterstütze den Dachverband der Kinder- und Jugendgremien, den Kinder- und Jugendhilfelandesrat, das Jugendforum Nachhaltigkeit und die Landesschüler*innenvertretung.
Darüber hinaus sollen – nach dem neuen Kinder- und Jugendgesetz – Vorhaben der Landesregierung darauf geprüft werden, ob sie die Rechte junger Menschen berühren und wenn ja, wie eine Beteiligung und Interessenabwägung stattfinden kann. Ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit ist auch die Beratung der Kommunen zu Beteiligungsrechten. Wir arbeiten außerdem an einer noch stärkeren Verankerung der Mitwirkungsrechte in der Kommunalverfassung und unterstützen Projekte zu Mitbestimmung und Inklusion.
Weiterhin soll im Frühjahr eine Petition starten, die Kinderrechte im Grundgesetz fordert. Denn obwohl Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention bereits vor über 30 Jahren unterzeichnet hat, sind Kinderrechte dort noch immer nicht klar festgeschrieben. Mit unserer Petition wollen wir ein starkes Zeichen setzen und dafür sorgen, dass die Rechte von Kindern besser geschützt sind und in politischen Entscheidungen stärker berücksichtigt werden. Die Initiative geht von der Landesarbeitsgemeinschaft der Kinder- und Jugendbeauftragten in Brandenburg aus.
Seit zwei Jahren haben wir ein gemeinsames Projekt mit Radio Teddy. Mit einer Beitragsreihe zum Thema Kinderrechte, werden diese bekannter gemacht, mehrmals täglich werden entsprechende Spots gesendet. Während die Beiträge im ersten Jahr noch abstrakt waren, werden in diesem Jahr konkrete laufende Projekte aus allen Landkreisen vorgestellt. So möchten wir zeigen, wie Kinderrechte vor Ort gelebt werden.
Was sind aus Ihrer Sicht die zentralen wesentlichen Errungenschaften des neuen Kinder- und Jugendgesetzes Brandenburgs?
Das neue Brandenburgische Kinder- und Jugendgesetz (BbgKJG) bringt eine Reihe zentraler und wesentlicher Errungenschaften mit sich, die die Rechte und den Schutz von Kindern und Jugendlichen erheblich stärken. Das nicht zuletzt auch deshalb, weil junge Menschen aktiv am Gesetzgebungsprozess beteiligt waren. Rund 1.000 junge Brandenburger*innen haben aktiv daran mitgewirkt.
Eine der bedeutendsten Neuerungen ist der gesetzliche Anspruch auf Beteiligung für Kinder und Jugendliche, wenn ihre spezifischen Interessen betroffen sind. Diese Mitbestimmungsmöglichkeiten wurden erstmals gesetzlich genau definiert.
Junge Menschen besetzen zukünftig als stimmberechtigte Mitglieder Plätze im Landes- Kinder- und Jugendausschuss. Zudem wird in Einrichtungen der Hilfen zur Erziehung nun ein einheitliches, altersabgestuftes Taschengeld für Kinder und Jugendliche eingeführt werden. Auch die Rechte des Kinder- und Jugendhilfelandesrates sind gesetzlich normiert.
Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gesetzes ist die umfassende Pflicht zur Erstellung von Schutzkonzepten. Diese wird dazu beitragen, den Kinderschutz in Brandenburg zu verbessern. Netzwerke zum Kinderschutz werden gefördert, um eine enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Akteuren sicherzustellen.
Gleichzeitig erhalten Träger der Jugendhilfe mehr Rechtssicherheit, da die rechtlichen Rahmenbedingungen für ihre Arbeit klarer und transparenter gestaltet werden.
Das Gesetz stärkt vor allem auch die Rolle der Landes- Kinder- und Jugendbeauftragten, des Landespräventionsbeirats und des Familienbeirats, da diese Gremien nun gesetzlich verankert sind.
Das Brandenburgische Kinder- und Jugendgesetz bündelt zudem wichtige bundesrechtliche Vorgaben, wie die Reform des SGB VIII mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz und setzt diese in Landesrecht um. In seiner Gesamtheit schafft das Gesetz eine solide Grundlage für die Förderung und den Schutz von Kindern und Jugendlichen in Brandenburg und stärkt ihre Position in der Gesellschaft.
Bei der Erstellung des Gesetzes wurden junge Menschen unmittelbar beteiligt. Wie haben Sie diesen Prozess wahrgenommen, und wie hat sich das Gesetz dadurch inhaltlich konkret qualifiziert?
Kinder und Jugendliche hatten erstmals die Möglichkeit, aktiv an einem Gesetz mitzuwirken, das sie direkt betrifft. Besonders geschätzt haben sie, nicht nur angehört worden zu sein, sondern dass ihre Anregungen auch tatsächlich in den Gesetzesentwurf aufgenommen wurden.
Viele junge Menschen fühlten sich erstmals ernstgenommen und als Expert*innen ihrer eigenen Lebenswelt anerkannt. Sie konnten zentrale Themen wie Beteiligung, Beratungsansprüche und Jugendhilfeplanung diskutieren und eigene Vorschläge einbringen. Die Ergebnisse der Workshops und der Online-Befragung finden sich fast vollständig im Gesetz wieder – ein klares Zeichen, dass ihre Anregungen praxisnah und umsetzbar waren.
Besonders beeindruckend war, dass ihre Forderungen nicht als „Wünsch dir was“ abgetan wurden, sondern als realistische und wertvolle Beiträge in den Gesetzgebungsprozess eingeflossen sind. So wurden beispielsweise ein eigener Beratungsanspruch und die Einrichtung von ortsnahen Ombudsstellen für Konfliktfälle, die Verankerung der Stelle einer Landes- Kinder- und Jugendbeauftragten, die Stimmberechtigung junger Menschen im Landes- Kinder- und Jugendausschuss, auf Initiative der beteiligten Kinder und Jugendlichen hin, aufgenommen. Auch praktische Anliegen wie z. B. eine einheitliche Regelung zur Taschengeldzahlung für junge Menschen in Hilfesystemen oder die Handlungsmöglichkeiten des Kinder- und Jugendhilfelandesrates fanden Berücksichtigung.
Diese intensive Beteiligung hat den Gesetzentwurf deutlich bereichert und inhaltlich aufgewertet: Das Gesetz ist praxisnah und stark an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen ausgerichtet. Die geringe Anzahl an Änderungswünschen zeigt außerdem, dass ihre Vorschläge durchdacht und umsetzbar waren. Der Prozess hat verdeutlicht, dass Jugendbeteiligung nicht nur eine symbolische Geste sein muss, sondern echte politische Wirkung haben kann. Das neue BbgKJG setzt damit bundesweit Maßstäbe für eine gelungene Einbindung junger Menschen in die Politik. Die Beteiligung junger Menschen am Brandenburgischen Kinder- und Jugendgesetz wurde als durchweg positiv wahrgenommen.
Die Rahmenbedingungen für Jugendbeteiligung sind für Brandenburger Kommunen bereits seit 2018 fest gesetzlich geregelt. Welche Wege sehen Sie für die Jugendinteressensvertretungen in Brandenburg, sich in aktuelle Politik und zukunftsweisende Entscheidungen auch auf Landesebene einzumischen?
Es gibt mehrere Wege, auf denen sich Jugendinteressensvertretungen in Brandenburg aktiv in die Landespolitik einbringen können. Insbesondere die gesetzlichen Rahmenbedingungen konnten mit einer Anpassung der Kommunalverfassung und dem neuen Kinder- und Jugendgesetz weiter verbessert werden.
In Brandenburg gibt es über 50 kommunale Kinder- und Jugendgremien, die sich über einen Dachverband vernetzt haben. In ähnlichem Umfang gibt es auch Kinder- und Jugendbeauftragte, die jungen Menschen dabei helfen, ihre Interessen an Politik und Verwaltung zu tragen. Darüber hinaus vertritt die Landeschülervertretung die schulischen Interessen und der Kinder- und Jugendhilfelandesrat die Interessen der jungen Menschen in stationären Einrichtungen. Der Landesjugendring und die Landes- Kinder- und Jugendbeauftragte sind gesetzlich festgeschriebene Interessenvertretungen. Wer also in einem Jugendverband aktiv ist, kann auch hier seine Interessen einbringen.
Es gibt zahlreiche Konferenzen, Foren und Veranstaltungen, bei denen sich Kinder und Jugendliche versammeln. Dort tauschen sie sich aus, diskutieren politische Themen und formulieren Forderungen, die sie anschließend mit Akteuren aus Verwaltung und Politik besprechen. So können ihre Anliegen in den politischen Entscheidungsprozess mit einfließen.
Zudem können Petitionen beim Landtag oder Bürgeranträge auf kommunaler Ebene eingereicht werden. So lassen sich Forderungen in die Politik einbringen und konkrete Anliegen können verbindlich diskutiert werden. Darüber hinaus wird es zukünftig jährlich ein Parlamentarisches Jugendforum beim Landtag geben. Hier sollen junge Menschen mit den Landtagsabgeordneten über Themen des Landtages in den Austausch kommen und der Politik ihre Wünsche und Forderungen mitgeben.
Auch Social Media spielt eine wichtige Rolle. Dort können politische Themen durch gezielte Kampagnen, öffentliche Diskussionen oder kreative Aktionen wie Videoaufrufe und Online-Petitionen Aufmerksamkeit erhalten, um Druck auf die Politik auszuüben. Es gibt also zahlreiche Möglichkeiten sich politisch zu engagieren. Man muss nur die passenden Formate in seiner Umgebung finden und selbst aktiv werden.
Strukturen für Jugendbeteiligung und Jugendinteressensvertretungen sowie Jugendgremien stärken ebenenübergreifend die Demokratie - können Sie einen Ausblick geben, wie dies weiterbefördert werden kann?
Jugendbeteiligung ist wichtig für eine starke Demokratie. Damit junge Menschen noch besser mitentscheiden können, müssen die bestehenden Strukturen weiter ausgebaut und verbessert werden. Ein wichtiger Schritt ist es, die Jugendbeteiligung verbindlicher zu machen. Es sollte feste Regeln geben, die sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche in Städten und Gemeinden bei politischen Entscheidungen mitreden dürfen. Dazu brauchen Jugendgremien mehr Unterstützung. Dies könnte durch eigene finanzielle Mittel, eigene Orte für Treffen und Ansprechpartner, die ihnen helfen, gewährleistet werden.
Auch die Beteiligung in sozialen Netzwerken sollte weiter ausgebaut werden. Online-Plattformen und digitale Umfragen ermöglichen es mehr jungen Menschen, sich in der Politik einzubringen. So können sie ihre Meinung unterschwellig äußern, ohne irgendwo dabei sein zu müssen, und stehen trotzdem im Austausch mit anderen. Jugendapps können hier ein guter Zugang sein.
Damit Jugendliche sich in ihrer Meinung sicherer fühlen und sich trauen, ihre Stimme zu erheben ist die politische Bildung besonders wichtig. Schulen, Jugendverbände, Jugendzentren aber auch die Akademie Starke Kinder- und Jugendparlamente bieten gute Möglichkeiten Demokratie und Mitbestimmung – vor allem praktisch – zu erleben. Die neue Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, sich für eine Rede- und Antragsrecht von Kinder- und Jugendgremien auf kommunaler Ebene einzusetzen.
Für Brandenburg kann ich sagen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Beteiligung sind richtig gut, aber noch nicht immer sind sie mit ausreichend Leben gefüllt. Der Schwerpunkt sollte in Brandenburg also nun bei der Umsetzung bestehender Mitwirkungsrechte von Kindern und Jugendlichen liegen.
Zur Person
Katrin Krumrey wurde am 1. November 2021 zur ersten Kinder- und Jugendbeauftragten des Landes Brandenburg berufen. Die Juristin ist seit 2007 Vorsitzende des Vereins für Kinder¬ und Jugendsozialarbeit „Die Brücke e. V.“ und engagierte sich bis 2023 als Kreistagsabgeordnete Potsdam-Mittelmark u. a. im dortigen Jugendhilfe-Ausschuss. In der Gemeindevertretung Nuthetal leitete sie bis 2019 den Jugend- und Sozialausschuss.
Weitere Informationen hier.
Das Interview "Kinder- und Jugendpolitik in Brandenburg: Gute Rahmenbedingungen für wirksame Beteiligung junger Menschen" erschien zuerst in der Fachzeitschrift FORUM Jugendhilfe 1/2025 und wird hier mit freundlicher Genehmigung der Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ veröffentlicht.