Interview
Home > Eigenständige JugendpolitikEine Finanzpolitik für Gegenwart und Zukunft

(20.06.2025) Infrastruktur, Gesundheit, Bildung, Klimakrise - alle derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen sind mit finanzpolitischen Entscheidungen verknüpft. Im Interview erklärt Saskia Gottschalk vom ThinkTank Dezernat Zukunft, was es braucht, um langfristige und generationengerechte Lösungen im Sektor Finanzpolitik zu finden.

Eine Hand hält verschiedenfarbige Geldscheine, im Hintergrund liegt ein Tschenrechner. Eine Hand hält verschiedenfarbige Geldscheine, im Hintergrund liegt ein Tschenrechner.
Foto: Jakub Zerdzicki via unsplash

Welche konkreten Maßnahmen empfiehlt das Dezernat Zukunft, um die Finanzpolitik auf Bundesebene langfristig generationengerecht und resilient gegenüber Krisen zu gestalten?

Aus unserer Sicht ist ein zentraler Baustein für eine nachhaltige und damit generationengerechte Finanzpolitik eine grundlegende Reform der Schuldenbremse. Die neue Bundesregierung hat sich im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, diese noch bis Ende des Jahres mit Hilfe einer Expertenkommission umzusetzen. Eine neue, ökonomisch sinnvolle Schuldenregel sollte sich an der Tragfähigkeit staatlicher Schulden orientieren. Entscheidend für diese Tragfähigkeit sind dabei vor allem zwei Faktoren: die Zinsen, die der Staat zahlen muss, und das Wirtschaftswachstum. Eine gute Schuldenregel sollte also gezielt Investitionen ermöglichen, die langfristig Wachstum fördern und damit Schulden tragbar machen. 

Ebenso erforderlich ist aus unserer Sicht eine Modernisierung der Notlagenklausel. Der derzeit sehr eng definierte Notlagenbegriff war in der Vergangenheit oft zutreffend, deckt aber heutige schleichende und dauerhafte Krisen wie den Klimawandel oder Handelskonflikte nicht ab. Eine zeitgemäße Schuldenregel sollte den Staat auch in solchen Lagen handlungsfähig machen.

Doch allein diesen regulatorischen Rahmen zu setzen, reicht für eine generationengerechte Finanzpolitik natürlich nicht aus: Der nächste Schritt muss deshalb sein, dass die Gelder auch tatsächlich in die Bereiche fließen, die unsere Zukunft sichern – etwa in Bildung, Infrastruktur und ein leistungsfähiges Gesundheitssystem.

Wie sollte die aktuelle Finanzpolitik zentrale Zukunftsherausforderungen wie den demografischen Wandel oder den Klimawandel berücksichtigen?

Finanzpolitik lässt sich nicht losgelöst von gesellschaftlichen Herausforderungen denken. Sie soll nicht nur dazu beitragen diese zu lösen, sondern wird auch eingeschränkt, wenn sie das nicht tut. Beispielsweise schränkt das Ausbleiben struktureller Reformen der sozialen Sicherungssysteme unseren finanziellen Handlungsspielraum bereits massiv ein. So fließen von den rund 540 Milliarden Euro des Bundeshaushalts allein knapp 150 Milliarden Euro als Zuschuss an die Rentenkasse. Insgesamt binden Sozialtransfers in Bereichen wie Rente, Gesundheit, Pflege und Arbeitslosengeld fast die Hälfte des Haushalts. Um dem entgegenzuwirken, bedarf es vor allem eines: mehr einzahlende Personen. Nachhaltige Finanzpolitik ist so gesehen auch oft Arbeitsmarktpolitik: Investitionen in Arbeitsmarktintegration, Kita-Ausbau und Bildung kosten zunächst zwar Geld, zahlen sich aber langfristig aus.

Ähnliches gilt beim Klimawandel, dessen Folgen etwa durch extreme Wetterereignisse in Zukunft hohe Schäden verursachen werden. Gleichzeitig sind auch Klimaanpassung und die Dekarbonisierung der Wirtschaft mit erheblichen Kosten verbunden. Hinzu kommt: Der finanzpolitische Spielraum der Bundesregierung ist generell eng – nur rund zehn Prozent des Bundeshaushalts sind jährlich frei verfügbar, der Rest ist durch gesetzliche Vorgaben gebunden.

So blockieren sich Finanzpolitik und andere Politikbereiche zunehmend gegenseitig. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, braucht es eine gezielte, kreditfinanzierte Investitionsoffensive, verbunden mit strukturellen Reformen. Beides wurde in der Vergangenheit oft gescheut – oder durch die Schuldenbremse schlicht verhindert.

Doch die neue Bundesregierung scheint erkannt zu haben, dass es ein Umdenken braucht. Das im März beschlossene 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz war ein erster wichtiger Schritt. Entscheidend wird nun sein, wie diese Mittel tatsächlich eingesetzt werden – und ob parallel dringende strukturelle Reformen, etwa in der Rentenpolitik, angestoßen werden. Ausschlaggebend ist außerdem, dass diese Reformen in den kommenden Haushaltsplänen für 2025 und 2026 klar priorisiert werden.

Inwiefern werden bei der Schuldenaufnahme die Interessen zukünftiger Generationen berücksichtigt? Wie können die Lasten zwischen den Generationen fairer verteilt werden?

Die aktuelle Schuldenbremse erlaubt – von Ausnahmen abgesehen – eine jährliche Kreditaufnahme von bis zu 0,35 % des BIP, ohne Vorgabe, wofür das Geld verwendet werden soll. Interessen zukünftiger Generationen werden dadurch bei der Schuldenaufnahme nicht explizit berücksichtigt. Eine neue Schuldenregel sollte daher gezielt Zukunftsinvestitionen ermöglichen, denn Ausgaben etwa für Bildung oder Digitalisierung schaffen langfristigen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen. Gleichzeitig wäre es ebenso wenig im Interesse zukünftiger Generationen, auf Schulden zu verzichten, wenn das bedeutet, dass Straßen verfallen, Schulen überlastet und Klimarisiken verschleppt werden.

Was müsste geschehen, damit der Staat langfristige Investitionen nicht mehr als Belastung, sondern als Zukunftsvorsorge im Sinne einer generationengerechten Politik versteht? 

Es braucht zunächst ein Umdenken: Schulden sind kein Selbstzweck und auch nicht per se schlecht. Vielmehr sind sie ein Instrument, um unsere gesellschaftlichen Ziele zu erreichen. Dafür müssen wir zunächst eine Vorstellung davon haben, was wir als Gesellschaft wollen - etwa einen verlässlichen Sozialstaat oder eine leistungsfähige Infrastruktur - welche Ausgaben dafür nötig sind, und welchen Teil davon wir sinnvoll kreditfinanzieren sollten. Diese Logik sollte auch in einer neuen Schuldenregel verankert sein. 

Ebenso wichtig ist, dass öffentliche Ausgaben und deren Wirkung regelmäßig überprüft werden. Beim Dezernat Zukunft arbeiten wir daher aktuell an einer systematischen Übersicht vergangener und kommender Bundeshaushalte, um mehr Transparenz und Vergleichbarkeit zu schaffen. Am Ende sollte sich Finanzpolitik an gesellschaftlichen Zielen und Nutzen orientieren. Das ist der Kern einer wirksamen und generationengerechten Finanzpolitik.

Zur Person

Foto S.Gottschalk
Saskia Gottschalk ist Junior Economist beim Dezernat Zukunft, einem Think Tank zu Makrofinanzen. Sie arbeitet zu den Themenfeldern Fiskalpolitik, Makroökonomik und Finanzstabilität in Deutschland und der EU. Saskia studierte Wirtschaftspolitik an der Sciences Po Paris und Politische Ökonomie an der London School of Economics. 

Weiterführende Links 
Hier findet sich der Haushaltstracker des Dezernat Zukunft
Hier findet sich der Vorschlag zu einer Reform der deutschen Schuldenregeln

Quelle: jugendgerecht.de / Juni 2025