Interview
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(02.05.2022) Das Land Brandenburg hat eine eigene Folgestudie zur bundesweiten COPSY-Studie beauftragt. Die Kinder- und Jugendbeauftragte Katrin Krumrey bewertet diese Ergebnisse und leitet daraus jugendpolitischen Handlungsbedarf ab. Auch gibt sie einen Einblick in die Interessensvertretung für junge Menschen auf Landesebene.

Brandenburg. Foto: Jörg Farys / Die Projektoren, (c) Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ Brandenburg. Foto: Jörg Farys / Die Projektoren, (c) Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ
Brandenburg. Foto: Jörg Farys / Die Projektoren, (c) Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe - AGJ

Das Land Brandenburg hat eine Folgestudie zur bundesweiten COPSY-Studie beauftragt. Wie bewerten Sie die Ergebnisse der Studie für Brandenburg?

Zunächst finde ich es sehr begrüßenswert, dass Brandenburg eine eigene Folgestudie in Auftrag gegeben hat. Sie wurde in engem zeitlichen Rahmen zur zweiten Folgebefragung zur Copsy-Studie durchgeführt. Ziel der eigenen Studie war es dabei unter anderem, Kindern und Jugendlichen in der Pandemie eine Stimme zu geben.

An vielen Stellen weichen die Ergebnisse der Studie in Brandenburg von denen der bundesweiten COPSY-Studie nur in geringem Umfang ab, dennoch sind die Ergebnisse ernüchternd. Familien fanden die Belastungen durch Corona-Maßnahmen in Brandenburg höher als im bundesweiten Vergleich. Die jungen Menschen selbst fanden die Belastungen in Brandenburg aber nicht höher als im Bundesschnitt.

Insbesondere der Verlust von Freizeitaktivitäten wurde von jungen Menschen und ihren Familien als besonders belastend empfunden. In vielen Familien gab es erhebliche Schwierigkeiten bei der Kinderbetreuung und dem Homeschooling. Bei letzterem hätten sich rund ¾ der Eltern mehr Unterstützung für die Familien gewünscht.

In Brandenburg geht der digitale Netzausbau voran, aber leider ist er noch immer nicht so weit, dass alle Schulen Videounterricht anbieten bzw. alle Kinder an diesem hätten teilnehmen können, noch immer gab es auch keine einheitlichen Systeme für das Homeschooling. Dies macht es für Familien mit mehreren Kindern leider noch schwerer, guten Unterricht zu Hause zu gewährleisten.

Da auch die Möglichkeiten an Freizeitaktivitäten stark eingeschränkt waren, fehlte auch der Ausgleich zum von vielen als sehr stressig empfundenen Homeschooling. Es fällt auf, dass unter Bewegungsmangel vermehrter Medien- und Süßigkeitenkonsum zur Kompensation herhalten mussten. Hier liegt Brandenburg im Übrigen bei seinen Befragungen noch deutlich über den Feststellungen der bundesweiten COPSY-Studie. Dies kann unter Umständen daran liegen, dass in Brandenburg Eltern in der Regel voll berufstätig sind und zur Arbeitszeit auch längere Arbeitswege hinzutreten. Entsprechend war eine Betreuung durch Eltern teilweise erheblich eingeschränkt und Kinder teilweise sich selbst überlassen.

Jugendliche und Kinder haben auch psychisch unter den Problemen der Pandemie gelitten. Das formulierten in der Befragung nicht nur die Eltern, auch die befragten jungen Menschen gaben dies an. Für Brandenburg fällt dabei auf, dass die Anzeichen für eine generalisierte Angststörung und selbstberichtete Depressivität deutlich über dem Bundesschnitt liegen. Leider ist der Studie nicht zu entnehmen, warum es in Brandenburg zu diesen Abweichungen kommt, häufig wurde aber außerhalb der Studie berichtet, dass die psychosozialen und psychotherapeutischen Angebote in Brandenburg nur mit langen Wartezeiten zur Verfügung stehen. Niedrigschwellige Angebote seien kaum zu finden gewesen. 

Was muss aus den Erkenntnissen gefolgert werden?

Im Nachgang ist es sicher einfach zu sagen, es wäre besser gewesen, Kitas, Schulen und Freizeitaktivitäten offen zu halten. Jedoch wusste keiner wie sich die Pandemie entwickelt und entsprechend ist nachvollziehbar, dass die Priorität Gesundheitsschutz vor Schulpflicht, Kitabetreuung und Freizeitaktivitäten gestellt wurde. Leider wurden aber die Folgen des Entzugs sozialer Kontakte, von Homeschooling und Isolation nicht ausreichend abgewogen, weshalb aus meiner Sicht die Interessen von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie lange zu kurz kamen und Kinderrechte eben in Teilbereichen nicht mehr gewahrt wurden.

Junge Menschen und ihre Familien haben auch von sich aus häufig den Kontakt zu besonders gefährdeten Menschen (Großeltern und Vorerkrankten) gemieden, um diese nicht zu gefährden. Sie zeigten sich hier sehr solidarisch und waren bereit, Einschränkungen hinzunehmen. Familien haben sich nach Kräften bemüht, Familie und Beruf in dieser Zeit unter einen Hut zu bringen. Oft fühlten sie sich aber, wie beide Studien zeigen, alleingelassen und teilweise auch deutlich überfordert. Zunehmender Medien- und Süßigkeitenkonsum und wenig Bewegung waren da logische Folge in der Pandemie.

Vor dem Hintergrund hatte Kinder und Jugendliche in der Festlegung von Maßnahmen in der Pandemie zu wenig Stimme. Zu keiner Zeit waren Kinder die Treiber der Pandemie und dennoch wurde sie häufig so behandelt, für sie galten die am meisten einschränkenden Regelungen.

Wo sehen Sie aufgrund der Studienergebnisse besonderen jugendpolitischen Handlungsbedarf?

Kinder und Jugendliche brauchen eine starke Stimme, insbesondere auch bei Regelungen im Pandemiegeschehen, und da die Pandemie leider noch nicht vorbei ist, bleibt das Thema aktuell. Krisenstäbe und Ministerpräsident*innenrunden sollten nicht ohne Beteiligung von Menschen mit kinder- und jugendpolitischer Expertise stattfinden, nur so werden die Interessen zukünftig angemessen berücksichtigt werden. Kinderrechte gehören ins Grundgesetz!

Das Programm „Aufholen nach Corona“ muss unbedingt fortgeführt werden. Zum einen ist die Pandemie nicht vorbei, zum anderen wird es viel Zeit brauchen, Kinder und Jugendliche wieder soweit zu stärken, dass sie ihren Weg ins Erwachsenenleben gut finden können. Dabei geht es nicht nur darum, schulisches Wissen nachzuholen, sondern vor allem auch um soziales Lernen.

Die Pandemie hat zu Tage gefördert, wie wichtig Angebote der Kinder- und Jugendarbeit sind. Oft waren die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen von Trägern der Jugendhilfe wichtigste Ansprechpartner*innen für Kinder und Jugendliche außerhalb der Familien und leisteten wichtige soziale Beratungen. Deshalb darf im Bereich der Kinder- und Jugendarbeit keineswegs über Reduzierung von Angeboten nachgedacht werden, aus meiner Sicht sollte es zumindest vorübergehend zu einer Ausweitung von Angeboten kommen.

Meines Erachtens bedarf es mehr Angeboten für junge Menschen in Krisensituationen.

Wie funktioniert das ressortübergreifende Zusammenspiel von Gesundheits-, Jugend- und Bildungsbehörden in Brandenburg?

Ich habe den Eindruck, dass das Zusammenspiel nach zwei Jahren Pandemie zunehmend gelingt. So ist in Brandenburg deutlich erkennbar, dass im letzten Winter die Interessen von Kindern und Jugendlichen mehr Einklang in Umgangsverordnungen fanden. Statt Schulschließungen gab es nur noch eine Aussetzung der Präsenzpflicht, Kindertagesstätten blieben offen und auch Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche waren nicht vollständig eingeschränkt.

Erfreulicherweise wirkt sich diese positive Entwicklung der fachbereichsübergreifenden Zusammenarbeit nun bei den besonderen Herausforderungen Brandenburgs in der Aufnahme von Geflüchteten aus den ukrainischen Kriegsgebieten aus.

Mit Pandemie, Klimakrise und Krieg sieht sich die junge Generation diversen Herausforderungen gegenüber. Wie können Sie auf Landesebene für mehr Aufmerksamkeit jugendlicher Interessen sorgen und deren Perspektiven einbringen?

Brandenburg ist mit Wahlalter 16 und §18a in der Kommunalverfassung (BbgKommVerf) einigen anderen Bundesländern in Sachen Kinder- und Jugendbeteiligung voraus, auch Landeskinder- und Jugendbeauftragte gibt es nur in vier Bundesländern.

In Brandenburg wird es darum gehen, mit Kindern und Jugendlichen Beteiligungsstrukturen zu entwickeln, die es ihnen ermöglichen sich einzubringen und ihre Kinderrechte einzufordern. Hierzu wird es mehrere Kinder- und Jugendkonferenzen in diesem Jahr geben. Ziel ist es hier, junge Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen zusammenzubringen, Bedürfnisse zu bündeln und dann bedürfnisorientiert angemessene Beteiligung zu planen. Als Kinder- und Jugendbeauftragte sehe ich es als eine meiner Hauptaufgaben an, junge Menschen gemeinsam mit den Handelnden in der Jugendarbeit zu unterstützen, mehr Stimme und mehr Gehör zu bekommen. Kinder- und Jugendbeteiligung ist nach meiner festen Überzeugung nicht nur für Kinder und Jugendliche gut, sie führt zu Nachhaltigkeit, Transparenz und Akzeptanz von Politik.

Zur Person:

Katrin Krumrey, Foto: privat

Katrin Krumrey ist seit 01.11.2021 Brandenburgs erste Landeskinder- und Jugendbeauftragte. Sie ist unabhängig tätig zu den drei Schwerpunkten Kinderrechte, Kinder- und Jugendbeteiligung und Mitwirkung an gesetzlichen Regelungen zum Kinderschutz. Die Stelle ist als Stabsstelle im Ministerium für Bildung, Jugend und Sport angesiedelt.

Zuvor war sie ehrenamtlich viele Jahre in der verbandlichen Kinder- und Jugendarbeit bei der SJD-Die Falken tätig, ist Vorsitzende des Kinder- und Jugendvereins „Die Brücke e.V.“ und gewähltes Mitglied im Jugendhilfeausschuss des Landkreises Potsdam-Mittelmark.  

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