Bericht
Home > Eigenständige JugendpolitikDJHT-Fachforum: Entwicklungen in der Ostdeutschen Jugendpolitik

(14.05.2025) „Alles anders? Alles gut? – Entwicklungen, Erfolge und Herausforderungen in der Ostdeutschen Jugendpolitik“ lautete der Titel des Forums von jugendgerecht.de auf dem 18. DJHT. An der Veranstaltung wirkten (Jugendpolitik-)Engagierte aus vier ostdeutschen Bundesländern mit. 

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DJHT Veranstaltungssaal - Foto: AGJ / WaltherLeKon

Im Rahmen des Fachkongresses des 18. Deutschen Kinder- und Jugendhilfetages in Leipzig veranstaltete die Arbeitsstelle Eigenständige Jugendpolitik ein Fachforum unter dem Titel „Alles anders? Alles gut? - Entwicklungen, Erfolge und Herausforderungen in der Ostdeutschen Jugendpolitik“. Die Veranstaltung fand am 14.05.2025 statt.

Im Mittelpunkt standen die Lebensrealitäten junger Menschen in Ostdeutschland und politische Handlungsbedarfe auf Landesebene sowie Erfahrungen mit jugendpolitschen Formaten und Strategien. Die Beiträge aus Wissenschaft, Landespolitik und Jugendhilfe zeigten deutlich: Jugendpolitik in Ostdeutschland braucht strukturelle Aufmerksamkeit, langfristige Strategien und gesetzlich verankerte Beteiligungsformate.

 

Umfrageergebnisse der Mentimeterumfrage werden dem Publikum gezeigt

Umfrage: Jugendpolitik in Ostdeutschland für viele kaum spürbar

Zu Beginn der Veranstaltung nahm das Publikum an einer Echtzeit-Onlinebefragung teil.

Frage 1: Die erste Frage zeigte: Ein Großteil der Teilnehmenden kommt aus ostdeutschen Bundesländern.

Frage 2: Anschließend wurden die Teilnehmenden gefragt, wie sie die Jugendpolitik auf Landesebene bewerten. Etwas über die Hälfte (53%) wählten hier aus, dass die Jugendpolitik für sie kaum spürbar oder nicht präsent sei. Etwa 12% gaben an, dass sie die Jugendpolitik als negativ wahrnehmen während 32% eine gute Entwicklung erkennen können. Lediglich 2 befragte Personen gaben eine erfolgreiche Umsetzung an.

Frage 3: Zu der Frage, was die drängendste Herausforderungen für junge Menschen in den ostdeutschen Bundesländern sind, wurde aus den Antworten der Befragten eine Wortwolke erstellt. Die häufigsten Nennungen fielen hierbei auf die Themenkomplexe Perspektiven bzw. Perspektivlosigkeit, Rechtsextremismus und Armut.

Wortwolke Frage 3 Herausforderungen junger Menschen in Ost-De

Frage 4: Ebenfalls wurde eine Wortwolke erstellt zu den Antworten auf die Frage, wo besondere Chancen für eine starke Jugendpolitik in den Ostdeutschen Bundesländern stecken. Die häufigsten Nennungen waren hier Teilhabe, politische Bildung, Partizipation und Freiräume.

Wortwolke Frage 4 Chancen Jugendpolitik in Ost-De

Vortrag: Lebenslagen junger Menschen in den Ostdeutschen Bundesländern

Den Auftakt machte Dr. Frank Tillmann vom Deutschen Jugendinstitut (DJI)  mit einem wissenschaftlichen Impuls zu Lebenslagen junger Menschen in den ostdeutschen Bundesländern. Dieser basierte auf Ergebnissen der AiDA-Studie 2023 mit über 3.000 befragten Jugendlichen im Alter von 13 bis 24 Jahren. Er unterstrich, dass der Ost-West-Vergleich nach wie vor eine zentrale Analysekategorie in der Jugendforschung darstellt, jedoch reiche ein rein ökonomischer Blick nicht aus. Vielmehr brauche es eine ganzheitliche Perspektive auf die Lebenslagen Jugendlicher, die soziale Teilhabe, Bildungschancen, Gesundheit, Wohnen und finanzielle Ressourcen einschließt.

Vortrag_Dr.Tillmann_DJI

Für ostdeutsche Regionen konstatierte Tillmann eine Tendenz zu strukturellen Schwächen, einen niedrigeren Migrationsanteil und eine stärkere ländliche Prägung im Vergleich zu Westdeutschland sowie eine zahlenmäßige Marginalisierung junger Menschen. Besonders auffällig: Jugendliche in Ostdeutschland sind häufiger von materieller Deprivation betroffen. Dazu gehören bspw. der unfreiwillige Verzicht auf Konsumgüter wie neue Kleidung, Urlaube, auf Rücklagen oder auch fehlende Mittel für Geburtstagsfeiern. Der Anteil materiell benachteiligter Jugendlicher ist im Osten mit 27 % etwas höher als im Westen (25 %). Darunter sind jene ohne (Fach-)Abitur bzw. in entsprechenden Bildungsgängen überrepräsentiert.

Die materiellen Einschränkungen wirken sich auch auf das subjektive Wohlbefinden aus: Nur 15,7 % der ostdeutschen Jugendlichen gaben an, mit ihrem Leben insgesamt zufrieden zu sein – im Westen liegt dieser Wert bei 24,9 %. Einsamkeitserfahrungen treffen besonders junge Frauen und junge Menschen in finanzieller Not. Depressivität trete zudem ebenfalls häufiger bei Befragten aus materiell deprivierten Haushalten auf. Ländliche Herkunft verstärke bestehende Benachteiligungen, da dort Angebote non-formaler Bildung oft fehlen. Tillmann sprach sich für gezielte Nachteilsausgleiche aus und hob die Wirksamkeit kostenloser Angebote wie Ferienfreizeiten hervor, die Selbstständigkeit stärken und Armut abfedern. Die Autonomie junger Menschen müsse, so Tillmann, gezielt gefördert werden.

Die Präsentationsfolien von Dr. Tillmann sind hier verfügbar.

Jugendpolitische Blitzlichter aus den Bundesländern

Vier Vertreter*innen ostdeutscher Bundesländer gaben in Kurzinterviews Einblicke in  jugendpolitischen Strategien, aktuellen Beteiligungsformate und Erfahrungen im Jugendpolitischen Kontext auf Landesebene.

Brandenburg 

Katrin Krumrey, seit 2020 Landes-Kinder- und Jugendbeauftragte in Brandenburg, versteht sich als Türöffnerin und Sprachrohr für junge Menschen. Sie berichtete vom 2024 eingeführten Kinder- und Jugendgesetz Brandenburg, das maßgeblich unter Beteiligung Jugendlicher erarbeitet wurde. Es enthält u. a. Regelungen zu verpflichtenden Beteiligungsgremien, die Festschreibung des Kinder- und Jugendlandesrates sowie etwa zum Taschengeld für in Jugendhilfeeinrichtungen lebende junge Menschen. Erste konkrete Wirkungen sind erkennbar, zum Beispiel ein Wochenende der Begegnung mit Landtagsabgeordneten oder einer Jugendbeteiligung an Haushaltsverhandlungen. Brandenburg habe sich mit dem Gesetz zu Jugendbeteiligung verpflichtet, so gibt es nun genaue Erwartung an die Regierung was gemacht werden soll und was Beteiligung sein muss.

Mecklenburg-Vorpommern 

Dr. Ina Bösefeldt, Geschäftsführerin des Landesjugendrings MV und Mitglied der Enquete-Kommission „Jung sein in MV“, stellte die Arbeit des parlamentarischen Gremiums vor. Zwar ist dies kein Beteiligungsformat im engeren Sinn, behandelt aber jugendrelevante Themen wie Infrastruktur und gesundes Aufwachsen im parlamentarischen Raum. Kritik äußerte sie am neuen Beteiligungsgesetz, das in seiner Entwicklung selbst keine ausdrückliche Jugendbeteiligung erfahren hätte. Es fehle an einer landesweiten Jugendstrategie und ressortübergreifender Verantwortung, denn bislang liege die Zuständigkeit allein beim Sozialministerium. Angesichts zunehmender Demokratiegefährdung – ähnlich der Stimmung der 1990er-Jahre – forderte Bösefeldt, Demokratiebildung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu begreifen und Beteiligung gesetzlich zu verankern. Auch sei die Stärkung der Strukturen der Jugendverbandsarbeit und der Jugendringe ein existentieller Pfeiler einer resilienten Zivilgesellschaft, die gerade in Ostdeutschland nicht ernst genug genommen werde - das bilde sich auch haushaltärisch ab - hier sieht Dr. Bösefeldt den drängensten Handlungsbedarf.

Sachsen-Anhalt

Aus Sachsen-Anhalt berichtete Arne Ehritt, Referent für demografische Entwicklung und Prognosen im Ministerium für Infrastruktur und Digitales des Landes Sachsen-Anhalt, über jugendpolitisches Engagement. Dabei ging er insbesondere auf die Möglichkeit der direkten Kontaktaufnahme mit den obersten Landesbehörden ein, die in einem Prozess zusammen mit dem Kinder- und Jugendring Sachsen-Anhalt etabliert wurde. Als konkretes Beispiel für „Good Practice“ verwies er auf das Interreg-Projekt YOUMOBIL, welches Jugendlichen die Möglichkeit eröffnet hat, an einer ÖPNV-App für junge Menschen selbst mitzuwirken und ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse einzubringen. Solche Vorhaben führten zu einem spannendem und konstruktivem Erfahrungsaustausch zwischen jungen Menschen und Verwaltung. Auch das jugendpolitische Programm des Landes basiert auf Themen, die junge Menschen selbst als relevant benannt haben. Um eine nachhaltige Wirkung zu entfalten, müsse in den Ministerien jedoch auch zukünftig für das Thema sensibilisiert werden.

Sachsen 

Christian Kurzke ist Mitglied der Arbeitsgruppe Eigenständige Jugendpolitik in Sachsen, Stellvertretender Akademiedirektor der Evangelischen Akademie Sachsen und leitet dort den Studienbereich Jugend. Er skizzierte in seinem Interview die Entwicklung der jugendpolitischen Infrastruktur im Freistaat. Über eine interministerielle Arbeitsgruppe und begleitet von der Plattform jugendgerecht.sachsen.de wurde ressortübergreifende jugendpolitische Zusammenarbeit aufgebaut. Trotz positiver Ansätze verliert die Eigenständige Jugendpolitik aktuell an politischer Verankerung. Sie fand zuletzt keinen Eingang in den Koalitionsvertrag des Landes. Schutzklauseln gegen Kürzungen zeigten in der Praxis durch fehlende Inflationsausgleiche kaum Wirkung auf Landesebene. In den Kommunen gebe es teils dramatische Einschnitte. Kurzke forderte eine sichtbare jugendpolitische Haltung, die sich in konkreten Maßnahmen wie Wahlalterabsenkung, Beteiligungsräumen und dauerhaften Formaten widerspiegelt.

Talkrunde „Perspektive Jugendpolitik“ 

In der anschließenden Diskussion formulierten die vier Speaker*innen verschiedene übergeordnete Zielsetzungen: Katrin Krumrey (Brandenburg) verwies auf die Notwendigkeit demokratiebildender Maßnahmen im Kontext der Wahlalterabsenkung auf 16 bei Kommunalwahlen und plädierte für die Berücksichtigung migrationspolitischer Fragen, etwa beim Umgang mit jungen Geflüchteten. 

Die Diskutant*innen sitzen auf dem Podium
Jugendpolitik-Talk mit (v.l.n.r.): Christian Kurzke, Heidi Schulze, Arne Ehritt, Dr. Ina Bösefeldt und Katrin Krumrey

Dr. Ina Bösefeldt (Mecklenburg-Vorpommern) nahm die Erarbeitung einer Jugendstrategie und eine gesetzliche Verankerung dieser in den Blick. Auch sie verlangte eine Herabsetzung des Wahlalters. Arne Ehritt (Sachsen-Anhalt) hob das Thema Jugendbeteiligung, auch als Teil der Demokratieerziehung, als ein zentrales jugendpolitisches Ziel hervor. Außerdem sollte das Thema Jugendpolitik stärker im Bewusstsein aller Fachressorts verankert werden. Es sei wichtig, jungen Menschen zu zeigen, dass ihre Stimme gehört wird und etwas bewegen kannThematisiert wurde auch der bereits 2021 eingeführten Jugendcheck auf Landesebene in Thüringen, der die Auswirkungen von Gesetzen auf junge Menschen prüft.

Die Publikumsdiskussion unterstrich die Bedeutung vielfältiger Beteiligungsformate, um alle Jugendlichen zu erreichen und wirksame Veränderungsprozesse anzustoßen. Kurzke und Bösefeldt hoben die Jugendring- und Jugendverbandsarbeit als bewährten Rahmen hervor. Krumrey plädierte für Formatevielfalt, die sich auch an Zielgruppen wie Mädchen oder unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten orientieren müsse. Beteiligung in kleinen Gemeinden sei ebenso wichtig wie in Städten und dezentrale Zugänge stärkten die Reichweite der Angebote. Es müsse zudem versucht werden, dezentrale Formate zu etablieren, um auch in Flächenländern Jugendliche in die Landespolitik einzubinden, so die Diskutant*innen.

Auch wurde vom Publikum die Notwendigkeit betont, dass Bestrebungen der Jugendpolitik mehr wahrgenommen und ernstgenommen werden müsse. Dies könne etwa durch gemeinsames Engagement aller jugendpolitischen Akteure gelingen, es brauche aber zugleich die Aufmerksamkeit der Politik dazu, so die Diskutant*innen des Podiums.

Gleichzeitig wurden strukturelle Herausforderungen deutlich: Ressourcenmangel, langsame Prozesse und fehlende institutionelle Verstetigung erschweren nachhaltige Jugendpolitik auf Landesebene. Beteiligung dürfe zudem nicht als abgeschlossener Zustand verstanden werden, sondern müsse kontinuierlich weiterentwickelt werden.

Mit Blick auf den Bildungsbereich wurde der Wunsch geäußert, schon Kitas als erste Orte der Demokratiebildung zu stärken sowie die Mitbestimmungsrechte von Schüler*innen, zum Beispiel in Schulkonferenzen, auszubauen. 

Betont wurde, dass es nicht an Konzepten und Engagement mangele, sondern der politische Wille entscheidend sei, um eine wirksame Jugendpolitik stabil aufzustellen und voran zu bringen.

Fazit

Das Podium machte deutlich: Eine jugendgerechte Politik in Ostdeutschland muss strukturelle Benachteiligungen abbauen, Beteiligung verbindlich und langfristig gestalten und die Lebensrealitäten Jugendlicher ganzheitlich in den Blick nehmen. Notwendig sind langfristige Investitionen in Zivilgesellschaft und Bildung, verlässliche Strukturen jenseits kurzfristiger Projektlogiken und ein ressortübergreifendes Verantwortungsbewusstsein. Die Beiträge zeigten, dass Jugendliche nicht nur Zielgruppe, sondern Mitgestaltende politischer Prozesse sein müssen, erst recht in Zeiten gesellschaftlicher Herausforderungen.

Quelle: jugendgerecht.de - Arbeitsstelle Eigenständige Jugendpolitik, Mai 2025